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Neue Welten

Künstliche Intelligenz, natürliche Dummheit und der Sieg der Hoffnung über die Vernunft.
©privat

Es ist das Thema schlechthin: Wie unser Chefredakteur Mag. Ulrich Bentz im Lead zur diesmaligen Titelgeschichte – einem Konvolut von mehreren Ansätzen zu diesem Thema – völlig richtig schreibt, gibt’s kaum etwas, worüber dieser Tage und Wochen mehr geredet wird. Und langsam hat auch der naivste Zeitgenosse verstanden, dass das Thema Künstliche Intelligenz unser aller Leben drastisch verändern wird. Wobei dies nicht von heute auf morgen passiert: Längst greifen Bots und digitale Verarbeitungssysteme entscheidend in unsere persönliche Sphäre ein: Der „große Bruder“ hat seine Finger längst auf die Schlagader unserer Kommunikation gelegt, George Orwells Fiktionen und das, was Vance Packard seinerzeit mit seinem Weltbestseller „Die geheimen Verführer“ aufdeckte, ist zur Alltags-Realität geworden. Dessen großer Gegenspieler, sprich jener Mann, der die großen amerikanischen Konzerne seinerzeit beriet, wie man die Konsumenten mehr an die Kandare nehmen kann und damit den eigenen Profit maximiert, war Ernest Dichter. Zu seinem hundertsten Geburtstag im Jahr 2007 (Dichter lebte vom 14.8. 1907 bis zum 22.11. 1991) erschien ein prachtvoller Band unter dem Titel „Doyen der Verführer“ im Mucha Verlag. Noch immer wertvolle Lektüre, die Sie gerne bei mir via E-Mail bestellen können.

Darin skizzierten wir auf 400 spannenden Seiten, welch großartige Bedeutung der Vater der Motivforschung, den ich persönlich kennen und schätzen lernen durfte, für die Weltwirtschaft hatte. Ein Mann, dessen Bedeutung durchaus an jene eines Sigmund Freud (auf ganz anderem Felde) heranreicht und der bedauerlicherweise nie jene Würdigung erfahren hat, die ihm aufgrund seiner enormen Schaffenskraft und Kreativität durchaus zugestanden wäre. 

Unser Titelbild zur KI ist diesmal vielleicht etwas zu einseitig, zu bedrohlich, ausgefallen, wenn wir die Frage Unnatürliche Dummheit oder das Horrorkabinett der Zukunft stellen. Wir haben uns dann doch für die drastische Version entschieden, weil wir eindringlich vor dem warnen möchten, was da unkontrolliert auf uns zukommt. Wenn die Bild Zeitung künftig ein Gutteil ihrer Regionalausgaben der Künstlichen Intelligenz überlässt, die selbst den Umbruch abwickelt, wenn blauäugige Kollegen ihre Faulheit ausleben, in dem sie KI die Artikel verfassen lassen, kann das zu fatalen Fehlleistungen führen. Diesbezüglich kursieren haarsträubende Geschichten, die ich mir erlaubt habe, selbst nachzuprüfen und die sohin wirklich so passierten.

Vorweg der für mich gefährlichste Aspekt an der Sache: Jeder Blechtrottel ist nur so gut, wie das, was man ihm zum Verarbeiten gibt. Empathie, Gefühle, Ahnungen, Menschenkenntnisse und Emotion – das sind Eigenschaften, die die Automatik nicht kennt.

Aber auch Moral ist nicht vorgesehen im Datenverarbeitungsmonster, das uns viel abnehmen soll und in Wirklichkeit gewaltig viel von unserer Initiative und unserer Menschlichkeit auffrisst. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen erläutern: Ein amerikanischer Universitätsprofessor lässt seine Studenten eine Prüfungsarbeit schreiben. Und da er ihnen nicht traut, füttert er die KI mit deren Texten und stellt die Frage: Hast du das verfasst? In drei Fällen antwortet die KI: „Ja, das habe ich wortwörtlich so geschrieben.“ Der Professor mahnt seine Studenten bei der nächsten Vorlesung coram publico ab und verpasst ihnen mit deutlichen Worten negative Zensuren. Doch er hat die Rechnung ohne seine Studenten gemacht. Die protestieren vehement und legen die Unterlagen ihrer Recherchen vor, aus denen klar hervorgeht, dass sie selbst die Recherchen durchgeführt haben. Ohne KI. Doch der Professor bleibt stur. Bis einer der drei Studenten zum Vortragspodium schreitet und ihm eine peinliche Unterlage unter die Nase hält. „Wir haben“, so meint der Student, „ihre Master-Arbeit aus dem Jahr 2011 in die KI eingegeben und sie gefragt, ob sie das verfasst hat. Hier haben Sie Schwarz auf Weiß die Antwort: Ihr Text, so tönt die KI, wurde zur Gänze von ihr erstellt. Nur gab es damals den Bot noch nicht.“

Was lernen wir daraus? Das Ding lügt. Vorsätzlich. Ihm zu vertrauen, wäre fatal.

Das zeigte sich auch bei Eva Dichand, der umtriebigen Heute-Herausgeberin, die auf die Frage nach ihrem Lebenslauf die Antwort erhielt, dass sie mit dem Verleger Christian W. Mucha verheiratet sei (?!).

Natürlich ist es eine gewaltige Erleichterung, wenn ich – mit Zweitwohnsitz in Frankreich beheimatet – meine gesamte Korrespondenz mit der Hausverwaltung auf Deutsch schreiben kann. Dann klickst du auf KI und erhältst alles in brillantem Französisch. Wenn – ja, wenn da nicht dieses kleine Manko wäre: Die KI verändert diese Texte. Semantisch, inhaltlich, im Sinn.

Lektorat wird dort schwierig, wo sich dein digitaler Auftragnehmer nicht an die aufgestellten Regeln hält. Ein Beispiel: Ich verfasse einen Text, in dem es um einen Bau-Mangel geht, an dem ich Schuld trage.

Ich erteile der KI den Auftrag, meinen Text nur zu lektorieren, auf orthografische und grammatikalische Fehler zu überprüfen. Und füge wortwörtlich hinzu: Verändere meinen Text auf keinen Fall inhaltlich, sondern beschränke dich auf Lektorat und Korrektur. Mein Originaltext lautete: Die oben erläuterte Angelegenheit ist leider so passiert. Ich bedaure dies außerordentlich. Und werde die entsprechenden Korrekturen unverzüglich durchführen.

Was im deutschen Text auch so umgesetzt wird. Und lektoriert wird. Im französischen Text findet sich plötzlich die nachfolgende Passage, rückübersetzt auf Deutsch: Über die obgenannte Angelegenheit wusste ich nicht Bescheid. Ich werde mich bemühen, dies in der nächsten Zeit in Ordnung zu bringen.

Dazwischen liegt eine Welt. In einem Fall gebe ich den Fehler zu und verspreche umgehende Korrektur, die KI macht daraus ein Zurückweisen der Schuld meinerseits, eine billige Ausrede. Und auch die Zusage, dies zu korrigieren, wird nicht so, wie ich das wollte, übersetzt.

Gnade Gott, wenn ich nicht so gut französisch sprechen würde, dass ich die entsprechende Übersetzung verstanden hätte. Denn die Folgewirkung wäre fatal: Ich wäre bei Nichtzugestehen der unverzüglichen Korrektur der Bau-Mängel geklagt worden. Und hätte den entsprechenden Prozess ratzeputz verloren.

Oder nehmen Sie die Bildbearbeitungsprogramme. Heute können Sie bereits – und das funktioniert sprachggesteuert auf Zuruf – ein Foto von Andreas Babler hernehmen und den Auftrag erteilen: Platziere Babler vor dem Bundeskanzleramt. Flutsch, schon passiert. Danach: Setze ihm eine Krone auf. Und passt schon. Was ja nicht so schlimm wäre. Doch was, wenn der Befehl lautet: Platziere den Mann vor dem Babylon und stelle drei nackte Mädchen neben ihn. Die Fotos sind von realen Aufnahmen nicht mehr zu unterscheiden. Da das Ganze nicht nur mit Fotos, sondern auch mit Video (Deep Fake) unglaublich realitätsnah funktioniert und kaum als Fälschung zu entlarven ist, kann sich jeder ausmalen, was da auf uns zukommt.

Dies sind nur vier kleine Hinweise, was da mit uns allen passieren kann und wird. Und täglich bereits geschieht!!!

Wir haben daher – folgerichtig – in unserem Haus eine ganze Reihe von Regeln aufgestellt: Bereits auf unserer Homepage finden Sie die Formulierung „Ohne Fake und KI“. In anderen Worten: Meine Mitarbeiter haben zustimmend zur Kenntnis genommen, dass der Einsatz von KI bei ihrer Recherchearbeit einen massiven Verstoß gegen unsere Redaktionsregeln bedeutet und dass ich mich von jemandem, der unser Haus damit hintergeht und schädigt, trennen werde. Was jetzt so dramatisch klingt, wurde von allen zustimmend akzeptiert. Die haben allesamt selber Bauchweh, wenn’s um die neuen Tools geht.

Was jetzt nicht heißt, dass ich Künstliche Intelligenz verteufle. In der Medizin ist eine Megadatenbank unglaublich wertvoll. Die blitzschnelle Analyse kann Menschenleben retten; das Wissen in breitem Maß um richtige Behandlungsmethoden, die Schulmedizin und den verzweifelten Arzt, der mit dem Stethoskop vor dem röchelnden Patienten steht, entscheidend unterstützen.

Das Handicap dabei: Wenn nur ein Eingabefehler passiert und zum Beispiel vergessen wird, klarzustellen, dass der Patient zuckerkrank ist (und damit Unverträglichkeiten für gewisse Medikamente hat), dann kann ein Blanko-Ausführen der Medikation und Therapie blitzschnell letale Folgen haben. Da ist mir dann noch viel lieber, wenn ein realer Herr Doktor die Zusatzfragen stellt: „Haben Sie Unverträglichkeiten? Sind Sie zuckerkrank?“ Und so eine gewisse Medikation von vornherein ausschließen kann. Aber auch deshalb möchte ich das neue Tool keinesfalls verteufeln. Zu gut sind mir noch die Unkenrufe im Gedächtnis, als hochrangige blauäugige Austropolitiker vollmundig tönten: „Das Patschenkino, sprich Fernsehen, wird sich nie durchsetzen.“ Oder die Totengräberschreie, dass Print tot sei. Seit 20 Jahren höre ich die schon und Sie blättern gerade in einer 214-Seiten-Ausgabe. Die sich bester Gesundheit erfreut (Was man freilich nicht von allen Medien sagen kann). Aber vielleicht haben A und F ja recht, wenn im Standard geschrieben wird, nur Mucha kann ExtraDienst. Nehmen wir also das Gute, das KI zu bieten hat und hüten wir uns vor den Gefahren. Bleiben Sie wachsam

meint Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

P.S.: Zum Ausgleich habe ich meine eigene Vorsicht über Bord geworfen. Hatte ich im Vorjahr bei Claudia Stöckls Leute noch vollmundig angekündigt, dass ich mich im Dezember 2023 in die Pension schleichen werde (das hat mir sowieso niemand geglaubt), habe ich nun nach reiflicher Überlegung verstanden, dass mein Leben ohne Arbeit keinen Sinn macht. Ich sehe, wie glücklich 78-Jährige sind, wenn sie nach wie vor täglich emsig arbeiten und – es macht mir Spaß. Aufzuhören macht mir keinen. Weshalb ich noch ein paar Jahre drauflegen werde. Die beste Ehefrau von Allen, Ekaterina, bezeichnet meinen jüngsten Entschluss, zu allem Überdruss ein neues Verlagsbüro an der eleganten Adresse Burgring 1 zu beziehen, als Sieg der Hoffnung über die Vernunft.

Aber – mal schauen, wie lange es noch weiter geht. Und so lange der Liebe Gott mir die Möglichkeit dazu gibt, werde ich sie dankbar nutzen. Sie alle bitte ich um Vergebung, dass ich mein Versprechen, womit Sie mich mit Ende dieses Jahres losgeworden wären, nicht einhalten will. Und all jenen, die gerne mit uns Geschäfte machen – danke dafür, wenn Sie uns auch weiterhin ihr Vertrauen und ihre Zuwendung schenken.

Der Obige

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