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Sommergespräch geht von null auf hundert

Mit einem abrupten Einstieg gab der ORF-Innenpolitikchef Klaus Webhofer dem Gespräch mit Grünen-Chefin Gewessler eine konfrontative Note.

12.08.2025 13:26
Redaktion
© ORF/Roman Zach-Kiesling
Sommergespräche 2025 - Klaus Webhofer im Gespräch mit Leonore Gewessler.

Das erste ORF-„Sommergespräch“ 2025 mit Grünen-Chefin Leonore Gewessler lockte am Montagabend bis zu 464.000 Zuseherinnen und Zuseher vor die Bildschirme. Im Schnitt verfolgten 436.000 Menschen (Marktanteil 21 Prozent) via ORF 2 das Gespräch, in dem ORF-Innenpolitikchef Klaus Webhofer sein Debüt als Sommergespräch-Interviewer gab.

Direkter Einstieg ohne Umschweife

Mit einem abrupten Start setzte Klaus Webhofer gleich zu Beginn des Interviews den Ton. Die „Presse“ beobachtete, Webhofer sei „keiner, der lange fackelt“ – nach einer kurzen, nüchternen Begrüßung stieg er ohne jede einleitende Überleitung oder thematische Rahmung direkt in die Befragung Gewesslers ein. Tatsächlich stellte Webhofer als allererste Frage gleich die heikle Thematik des Macht- bzw. Bedeutungsverlusts zur Diskussion: „Wie hat sich der Verlust der Macht ausgewirkt?“ wollte er von Gewessler wissen.

Die frühere Klimaschutzministerin, die seit Juni Grünen-Bundessprecherin ist, ließ sich nicht beirren und antwortete betont optimistisch, es sei natürlich eine Veränderung, aber sie sei mit großer Freude in ihrer neuen Rolle – sie werde die Oppositionsaufgabe mit derselben Energie erfüllen wie das Ministeramt.

Nachbesprechung und ORF-Analysen

Unmittelbar im Anschluss an das Interview wurde in der ZIB 2 wie gewohnt eine Expertendiskussion ausgestrahlt. Die Innenpolitik-Journalistin Christina Traar (Kleine Zeitung) bezeichnete Gewesslers Auftritt dort als „holprig“ und attestierte der frischgebackenen Parteichefin den Versuch, nicht nur ihre Partei, sondern auch sich selbst neu zu positionieren und zuletzt beschädigte Images zu korrigieren.

Auch Politikwissenschafter Peter Filzmaier kam in der ZIB-Analyse zu Wort und relativierte überzogene Erwartungen: „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und ein Sommergesprächs-Interview macht noch keinen Imagewandel“, kommentierte er. Allerdings habe man bei Gewessler durchaus eine Langzeitstrategie erkennen können. Auffällig war laut Filzmaier, dass die Steirerin vermehrt im Dialekt sprach – ein „bemühter Versuch, volksnäher zu sein“ und ebenfalls ein Versuch, ihr angekratztes Image zu verändern. (Gewessler selbst stritt ab, dass dies Kalkül sei, es passiere einfach, wenn sie Geschichten von Menschen erzähle.)

Sommer(nach)gespräche – Die Grünen – Eva Glawischnig im Gespräch mit Lou Lorenz-Dittlbacher | © ORF/Klaus Titzer

Neben der TV-Analyse auf ORF 2 wurde Gewesslers Performance auch um 22:30 Uhr in ORF III bei den neuen „Sommer(nach)gesprächen“ vertieft diskutiert. In dieser Nachrunde unter Leitung von Lou Lorenz-Dittlbacher nahmen u. a. Gewesslers Vorgängerin Eva Glawischnig, Schauspieler Cornelius Obonya, Fiskalrats-Präsident Christoph Badelt sowie Meret Baumann (NZZ) als Gäste teil. Dort wurde ebenfalls debattiert, wie sich Gewessler in ihrer neuen Oppositionsrolle geschlagen hat und welche inhaltlichen Akzente sie setzen konnte.

Kommentare in den Medien

Die heimische Presse griff das Sommergespräch in ihren Kommentaren und Berichten am nächsten Tag vielfältig auf. In den Salzburger Nachrichten etwa erschien ein Meinungsbeitrag unter dem Titel „Sie muss noch viel lernen“, der andeutete, Gewessler habe trotz Routine in der Medienarbeit noch nicht in allen Politikbereichen sattelfestes Wissen parat. Die Kronen Zeitung hob indes vor allem die unmittelbaren Reaktionen der politischen Konkurrenz hervor.

Das Gratisblatt Heute berichtete augenzwinkernd darüber, dass Gewessler bei ihrem ersten Auftritt als Grünen-Chefin im Sommergespräch „auf klare Worte – und immer wieder auf steirischen Dialekt“ setzte. Mit Aussprüchen wie „dann friss i an Besen“ (auf Hochdeutsch etwa: „dann fresse ich einen Besen“), falls die Regierung Tempo 100 auf Autobahnen einführt, bediente sie bewusst ihren steirischen Zungenschlag – ein Punkt, den wie erwähnt auch Filzmaier analytisch herausstrich.

Die „Presse“ wiederum lobte Gewesslers Bemühen um inhaltliche Breite und Konsens. Sie habe bei ihrem Sommergesprächs-Debüt ihre konsensuale Seite betont und versucht, über das Stammthema Klima hinaus möglichst viele Themen anzusprechen. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich gemacht, dass altbekannte grüne Versatzstücke (wie das erwähnte Klimaticket und das Motto vom lebenswerten Planeten für unsere Kinder) nicht fehlen durften.

Sommergespräche 2025 – Klaus Webhofer im Gespräch mit Leonore Gewessler. | © ORF/Roman Zach-Kiesling

Insgesamt zeichnete die Medienresonanz das Bild eines Interviews, in dem Gewessler engagiert auftrat und offensiv ihre Positionen darlegte, zugleich aber noch Überzeugungsarbeit in neuen Themenfeldern leisten muss, während Moderator Webhofer keine Scheu zeigte, auch persönlich-pointierte Fragen zu stellen.

Pflichtübung im Angriffig sein

Das ORF-Format „Sommergespräche“ ist seit Jahrzehnten ein Fixpunkt im politischen Sommer – eine Art Pflichtübung, der sich die Parteispitzen alljährlich unterziehen. Mit Webhofer hat das Format nun einen Moderator, der einen Frontalstart hingelegt hat. Will Webhofer mit seiner von Null-auf-Hundert-Taktik langfristig den Ton setzen – oder war dieser Einstieg nur ein markantes Statement zum Auftakt?

Seine Herangehensweise wurde von einigen Medien als willkommene Härte gelobt, weil sie die ritualisierte Selbstbeweihräucherung der Gäste aufbricht. Andere kritisierten den Verlust an atmosphärischem Aufbau und die Gefahr, dass das Publikum eher ein politisches Kreuzverhör als ein journalistisches Orientierungsformat wahrnimmt. Damit stünde er in der Tradition jener, die dieses Verhalten seit jeher als journalistische Tugend begreifen – allerdings meist erst ab 22 Uhr, wenn die ZIB 2 beginnt.

Das nächste Sommergespräch bestreitet NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger am 18. August, gefolgt von SPÖ-Chef Andreas Babler, ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker und FPÖ-Obmann Herbert Kickl an den darauffolgenden Montagen.

(red)

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