Klick auf sexuelle Belästigung in der Kreativbranche
Ein aufrüttelnder Kommentar im Campaign Germany verspricht einen tiefen Blick ins Innerste der Agenturwelt.

Die Headline garantiert hohe Aufmerksamkeit – und sie zeigt Wirkung: Ein Kommentar von Bärbel Egli-Unckrich auf Campaign Germany trägt den Titel „Pleiten, Pech & sexuelle Belästigung: In der Kreativbranche brodelt es“. Doch was steckt dahinter?
Die Chefredakteurin verweist auf ein Phänomen, das weder neu noch einzigartig ist: Wirtschaftliche Krisen und Fehlverhalten begleiten die Werbewelt seit Jahrzehnten. Neu ist vor allem, dass heute offener darüber gesprochen wird. Namen, konkrete Vorfälle oder gerichtsfeste Belege liefert der Beitrag allerdings kaum, was ihn aber nicht weniger glaubhaft macht.
Erwartungen und Realität
Nicht nur der Titel spielt mit Erwartungen – auch der Inhalt tut es. Denn jenseits der Schlagzeilen sieht der Alltag in vielen Agenturen weit weniger aufregend aus. Statt um „skandalöse Eskapaden“ geht es in 99,9 Prozent der Fälle um Überstunden, schlechte Bezahlung und unbezahlte Praktika.
Wer 2025 noch glaubt, seine Karriere in der Branche durch sexuelle Gefälligkeiten beschleunigen zu können, soll sich irren dürfen. Offen bleibt auch, wie sich die vielbeschworenen „Old White Men“ der Kreativwelt entwickeln. Botox, Haarimplantate und verlängerte Jugendlichkeit täuschen über die Jahre hinweg. Die Frage ist, ob diese Figuren überhaupt noch existieren – oder längst zu den Dinos einer ausgestorbenen Spezies gehören.
Noch etwas wird in der Diskussion gerne übersehen: Betroffen sind längst nicht nur Frauen. Der prominente Fall Kevin Spacey hat gezeigt, dass auch Männer Opfer von Männern werden können. Darüber hinaus bleibt vieles ungesagt – die Dunkelziffer ist hoch, und gerade weil so wenig offen ausgesprochen wird, ist die Dimension des Problems schwer zu greifen.
So bleibt die eigentliche Pointe: Nicht nur der Titel von Campaign Germany spielt mit Erwartungen. Auch die Branche selbst lebt von der skandalösen Inszenierung. Wenn das Schreckgespenst nicht auftaucht, zeigt sich ein Alltag, der von Arbeitspensum, Verzicht und Durchhaltewillen geprägt ist – und nicht von unerwünschten Avancen. Das geht so weit, dass Annäherungen jedweder Art vollkommen vom Tisch fallen. Ein falsches Wort und man fliegt.
Die Konsequenz daraus: Wer Action sucht, wird sie in der Kreativbranche so nicht mehr finden. Es gibt wohl bessere Gründe, für wenig Geld und Anerkennung in einer hippen Agentur zu schuften.
(PA/red)