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Die Macht des Handys

Handyvideos dokumentieren Ereignisse fast in Echtzeit und sind damit längst zu einer eigenen journalistischen Kategorie geworden. Der Umgang damit erfordert jedoch viel Sensibilität. Das gelingt nicht immer.
© Adobe Stock

Smartphones sind heute allgegenwärtig, nahezu alles wird gefilmt. Bei aktuellen Ereignissen ergibt das manchmal eine Dokumentation nahezu in Echtzeit

Am 25. Mai 2020 wurde in der US-Stadt Minneapolis der Afroamerikaner George Floyd von einem Polizisten bei einer Festnahme wegen eines harmlosen Delikts minutenlang so heftig zu Boden gedrückt, dass er dabei erstickte. Floyds Tod löste weltweit Empörung aus und wurde zur Initialzündung für die Bewegung, die sich unter dem Motto „Black Lives Matter“ gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt wendet. Nun ist Floyd nicht der erste Schwarze, der in den USA durch Polizeigewalt ums Leben kam. Dass ausgerechnet sein Fall so hohe Wellen schlug, liegt wesentlich an der Tatsache, dass er so gut dokumentiert ist: Die 17-jährige Passantin Darnella Frazier filmte den Vorfall mit ihrem Handy in voller Länge und veröffentlichte das Video zunächst auf ihrem Facebook-Account. Von dort aus ging es viral und wurde weltweit zigtausendfach gesehen. Frazier brachte mit ihrem Handy einen gewaltigen Ball ins Rollen.

Dass eine Passantin mit einem Handy zur Stelle war, ist natürlich kein Zufall: In den USA besitzen über 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ein Smartphone, in anderen industrialisierten Ländern sind die Zahlen ähnlich. Damit sind 80 Prozent der Menschen in der Lage, jedes Ereignis, das sich irgendwo vor ihren Augen abspielt, spontan zu filmen. Und Videoaufnahmen sind noch immer der stärkste Beleg dafür, was sich wie und wo abgespielt hat. So wie Darnella Frazier kann also jeder von uns in die Lage kommen, ein Video zu drehen, das die Welt verändert. Das ist eine ganz neue Situation: In den vergangenen Jahrzehnten konnten Videoaufnahmen aktueller Ereignisse nur von professionellen Filmcrews gedreht werden. Nun ist praktisch jeder dazu in der Lage. 

Kein professionelles Kamerateam kann jemals so schnell am Ort des Geschehens sein wie die zahlreichen Handykameras. Damit kann jeder Smartphone-Besitzer zum Videoberichterstatter werden. War man früher auf nachträgliche Schilderungen von Augenzeugen angewiesen, um ein Geschehen nachvollziehen zu können, liefern die Handykameras heute Bildmaterial aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Zusammenwirken mit sozialen Medien oft in Minutenschnelle veröffentlicht.

Polizeigewalt dokumentieren

Handyvideos können Ereignisse publik machen, die sonst von den Verantwortlichen unter den Tisch gekehrt würden. Das betrifft insbesondere Fälle von Polizeigewalt – das bekannteste Beispiel ist der eingangs erwähnte Tod von George Floyd. Ein Handyvideo kann überschießende Staatsgewalt publik machen und auf diese Art Bürgerrechte vor der Aushöhlung bewahren. „Zugleich geht man nicht zu weit, wenn man Handyvideos als Werkzeug der Demokratie bezeichnet. Dass sie emanzipatorische Wirkung haben können, hat in den USA die öffentliche Diskussion über Polizeigewalt gezeigt. Seit beinahe jeder ein Smartphone hat, filmen Bürger oft mit, wenn sie oder andere von Polizisten angehalten werden“, schreiben Kathleen Hildebrand und Juliane Liebert in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. 

In den USA gibt es inzwischen zahlreiche Fälle von Polizeigewalt, die durch Handyvideos dokumentiert wurden und die Exekutive zu öffentlichen Rechtfertigungen zwangen. Doch auch Österreich hatte einen solchen Fall: Am 31. Mai 2019 wurde in Wien eine Sitzblockade bei einer Demonstration zum Klimaschutz von der Polizei aufgelöst. Dabei wurde ein Demonstrant von mehreren Polizisten auf dem Boden fixiert und geschlagen. Die Polizei rechtfertigte sich später, die Gewaltanwendung sei dem Einsatzzweck und dem Verhalten des Demonstranten angemessen gewesen. Gegen den betroffenen Demonstranten wurde sogar ein Verfahren wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt eingeleitet. Ein von den Beamten unbemerkt aufgenommenes Handyvideo zeigt jedoch eine deutlich überschießende, sogar gefährliche Gewaltanwendung. Das Verwaltungsgericht stellte daraufhin die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung fest und bezeichnete den Polizeibericht ausdrücklich als falsch.

Von Martin Krake

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