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Ars Electronica: Nica-Preisträgerinnen über Zensur und prekäre Arbeit

Ayoung Kims "Delivery Dancer's Sphere" mit Problemen einer technologiegetriebenen Gesellschaft - "Unerasable Character Series" von Winnie Soon über Zensur und die Bedeutung des Löschens
© unsplash

Zwei starke gesellschaftspolitische Arbeiten haben heuer mit Ayoung Kims “Privacy Dancer’s Sphere” und Winnie Soons “Unerasable Characters Series” einen Prix Ars Electronica erhalten. Während sich die Koreanerin Kim mit Wettbewerb und prekären Arbeitssituationen beschäftigt, greift Soon Zensur in der Medienwelt Chinas auf. Die APA sprach mit beiden Künstlerinnen, die zum Ars Electronica Festival “Who Owns the Truth?” in Linz sind.

Ayoung Kim, die Gewinnerin der Goldenen Nica in der neuen Kategorie “New Animation Art” war “überwältigt”, als sie von ihrem Preis erfuhr. “Ich hätte nie gedacht, dass meine Arbeit als Animation gesehen wird und auch als so ein prominentes Beispiel für die Kombination von Kunst und Technik”, so die 44-Jährige. “Ich freue mich sehr, dass die Jury nicht nur die Technologie selbst anerkannt hat, sondern auch den Wert und die Bedeutung der Geschichte dahinter mit den Problemen einer technologiegetriebenen Gesellschaft.”

Kim hat “Delivery Dancer’s Sphere” aus echt gefilmtem Material und Game Engine, einem speziellen Framework zum Programmieren von Spielen, komponiert. Es geht um die Essensauslieferin Ernst Mo, die mit ihrem Motorrad durch Seoul jagt und dabei vom Algorithmus Dancemaster geleitet wird – dieser schafft es auch die Gesetze von Raum und Zeit aufzuheben, sodass die besten Boten – ghost dancer – Lichtgeschwindigkeit erreichen und nahezu unsichtbar werden. Doch wenn Ernst Mo auf En Storm trifft, verlangsamt sich alles und Ernst Mo verspätet sich bei ihren Fahrten. Doch sie ist fast magisch angezogen von der anderen Person, denn die Boten sind recht einsam, kommunizieren nur mit der KI.

Die vielen Essenslieferungen während der Pandemie und die prekären Arbeitsbedingungen der Boten inspirierten Kim zu der Arbeit. “Südkorea ist ein sehr wettbewerbsorientiertes Land, sehr neoliberal, die Geschwindigkeit ist überall.” Sie interviewte eine Motorradbotin und fuhr mit ihr am Sozius mit. Daraus spann sie ihre Geschichte. “Ich wollte die Bedingungen des 21. Jahrhunderts in den geschwindigkeitsgetriebenen Gesellschaften behandeln, wo alles schnell und optimal und effizient sein muss.” Auch die prekäre Lage vieler Menschen in der von Technologie bestimmten Welt beschäftigt die Koreanerin. Das habe sie in ihrer preisgekrönten Arbeit reflektiert, denn auch die mit der Technologie arbeitenden Botenfahrer stecken in prekären Arbeitsverhältnissen und hinterfragen nicht, was hinter der Technik steckt, und dass große Konzerne sie dominieren.

Technisch interessiert war die ausgebildete Kommunikationsdesignerin schon immer. Sie arbeitete als Filmgrafikerin, bevor sie sich ganz auf die zeitgenössische Kunst konzentrierte und macht heute Videos, Spiele – auch Delivery Dancer’s Sphere gibt es als Computerspiel -, Performances und Theaterprojekte.

Winnie Soon, aufgewachsen in Hongkong und zurzeit in London lebend, begann ungefähr 2016 mit “Unerasable Characters”, wofür sie die Goldene Nica in der Kategorie “AI and Life Art” bekam. “Es geht um Infrastruktur, digitale Zensur, Technologie”, beschreibt die Künstlerin und Lehrende an der University of Arts in London und der Aarhus University in Dänemark. Der Großteil ihrer Arbeit gelte der kulturellen Implikation digitaler Infrastrukturen. Als Schnittstelle für “Unerasable Characters” nutzt sie das “Weiboscope”, eine Datensammlung und ein Visualisierungsprojekt, das King-wa Fu von der Universität Hongkong entwickelt hat. Es basiert auf Weibo, einer der größten chinesischen Social-Media-Plattformen. Das System nimmt Samples von den Timelines ausgewählter Blogger, die entweder mehr als 1.000 Follower haben oder regelmäßig zensiert werden.

Teil von Soons Arbeit ist ein mehr als 6.000 Seiten dickes Buch, das 54.064 zensierte Postings enthält. Das wurde in einem Training für Machine Learning verwendet, dessen Ergebnis ein DIY-Buch ist, das man selbst zusammenbinden muss. Inspiriert von White Paper Protests und Blank Paper Censorship steht am Ende die Frage, ob es dann ein verbotenes Buch ist. “Unerasable Characters III” zeigt zensierte Postings während des Pandemieausbruchs 2019/20 in China, allerdings sind sie nicht zu lesen, weil alles außer Interpunktion, Emojis und Sonderzeichen entfernt wurde.

Da sie aus Hongkong stamme, habe sie ein besseres Empfinden für Zensur und auch für das breitere politische Geschehen in der östlichen Welt, jedoch gebe es auch in Russland oder der Türkei Zensur. In Bezug auf ihre Kunst “versuche ich, mich recht vage zu halten”, meinte die 44-Jährige. “Für mich ist es eine poetische Visualisierung des Ausmaßes der Unterdrückung”, wird sie doch konkreter. Löschen bedeute für uns oft nur Zerstörung, “in der digitalen Welt ist das komplexer. Was heißt zerstören? Von wem und für wen? Nur weil du es nicht sehen kannst, heißt es nicht, dass es der andere auch nicht sehen kann.” In der Datenbank bleibe das Gelöschte registriert und bestimmte Leute könnten das auch sehen. Also sei der Begriff “Löschen” sehr fragwürdig. Es entspinne sich eine Diskussion, ob und was nun wirklich gelöscht werden könne, ob es nur um ein Abdecken oder um eine zeitliche Beschränkung geht, oder ob man auch über das bloße Löschen hinaus denken kann.

Sie habe ihre Werke auch deshalb Unerasable Characters genannt, weil “character” im Englischen einerseits Buchstabe, also Text bedeute, andererseits Charakter. “Es geht um Persönlichkeit, um Identität”, verdeutlichte Soon. Es sei wichtig, kritisch zu sein. Egal was man in Social Media sieht oder sucht, “es gibt immer verschiedene Arten von Filtern, die einen Dinge sehen lassen oder nicht sehen lassen”. Ihre Arbeit ermögliche es dem Publikum, zu hinterfragen, “was man sieht und was die Auswirkungen dieser technischen Infrastruktur sind, von der wir bereits ein Teil sind und der wir nicht entkommen können”.

APA/Red.

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