Walter Zinggl übergibt bei RTL AdAlliance
Medienvermarktung im Umbruch – und ein Manager, der sie mitgeprägt hat: Walter Zinggl im ExtraDienst-Porträt.

Am 16. Oktober 2025 verabschiedete sich Walter Zinggl bei der RTL AdAlliance Night in Wien von der Medienbühne – zumindest offiziell. Nach 13 Jahren an der Spitze von IP Österreich und später der RTL AdAlliance Austria bleibt der erfahrene Manager dem Unternehmen noch bis Ende 2026 in beratender Funktion verbunden. Mit seiner ruhigen, sachlichen Art prägte er über Jahrzehnte eine Branche, die sich vom linearen Fernsehen zum datengetriebenen europäischen Netzwerk gewandelt hat.
Vom klassischen TV zum Total Video
Zinggl, der seine Karriere 1981 bei Publizitas begann und später die ORF-Enterprise leitete, verstand früh, dass sich Medienkonsum nicht an technischen Formaten festhalten lässt. „TV wird nicht sterben, sondern hat viele Babys bekommen“, sagte er im Gespräch mit ExtraDienst. Die Idee des „Total Video“ – also der Verbindung von linearem Fernsehen, On-Demand-Angeboten und Streaming – begleitet ihn seit Jahren.
Die RTL AdAlliance positioniert sich mit diesem Konzept als europäische Alternative zu den globalen Plattformen. Für Zinggl war diese Entwicklung kein Bruch, sondern ein logischer Übergang: „Ich mache mir um viele Dinge Sorgen, aber um Total Video mache ich mir keine Sorgen.“
Ein Markt ohne Gleichgewicht
Die Analyse des erfahrenen Managers ist nüchtern: Österreichs TV-Werbemarkt sei längst Teil eines ungleichen Spiels. Während nationale Anbieter journalistische Verantwortung, Jugendschutz und Abgaben tragen, ziehen internationale Plattformen wie YouTube oder Meta jährlich Milliarden aus dem Land ab – ohne vergleichbare Auflagen. „Von einem Spielfeld, auf dem für alle die gleichen Regeln gelten, sind wir Lichtjahre entfernt“, so Zinggl.
Für ihn liegt die Antwort nicht im Klein-Klein der Medienpolitik, sondern in einer europäischen Perspektive. Nationale Alleingänge hält er für Illusionen: „Eine eigenständige österreichische Antwort existiert de facto nicht. Das ist maximal in einem konzertierten europäischen Aufschlag möglich.“
Wien als Drehscheibe
Mit der Integration von IP Österreich in die RTL AdAlliance wird der Standort Wien künftig zur Schaltstelle für Vertrieb und Technologie in Zentraleuropa. Ab 1. Jänner 2026 übernimmt Elisabeth Frank die Leitung. Zinggl selbst durfte einen Vorschlag für die Nachfolge einbringen – was als Vertrauensbeweis gilt, und in internationalen Konzernen eher selten vorkommt.
Sein Führungsstil war dem Vernehmen nach nie laut, aber dafür wirksam. In einer Branche, die häufig auf Selbstinszenierung und Schlagzeilen setzt, blieb er ein Vertreter des leisen Pragmatismus: verlässlich, rational, unaufgeregt, sympathisch.
Europäisch denken, österreichisch handeln
Zinggl hielt die Balance zwischen nationaler Identität und europäischer Weitsicht. „Ich bin mit Stolz Österreicher“, sagte er, „aber wir müssen im paneuropäischen Konzert denken.“ Die Vorstellung eines „Europas der Regionen“ beschreibt seine Haltung im größerem Kontext – eine Idee, die über Branchenlogiken hinausreicht.
Dass RTL AdAlliance diesen Gedanken aufgreift, ist auch ein Vermächtnis seiner Arbeit: Wien als Knotenpunkt in einem Netzwerk, das auf Qualität, Reichweite und Vertrauen setzt.
Abschied ohne Rückzug
Nach 46 Berufsjahren blickt Zinggl auf eine Branche, die er von der analogen Spotplanung bis zur datengetriebenen Echtzeitmessung begleitet hat. Seine künftige Rolle beschreibt er mit einem Augenzwinkern: „Ich bleibe meinen Nachfolgerinnen als Quelle der Irritation erhalten.“
Ein Satz, der alles sagt: Walter Zinggl geht – aber nicht verloren.
Walter Zinggl im Wordrap
Gedanken, Erinnerungen und Prognosen eines Branchenmannes, der Wandel nie gefürchtet hat und stets loyal war.
Zinggl über die Zukunft des linearen Fernsehens
„TV wird nicht sterben, sondern hat viele Babys bekommen.“
„Ich habe den Begriff ‚lineares Fernsehen‘ nie gemocht. Total Video beschreibt besser, was heute passiert.“
„Streaming-Plattformen haben erkannt, dass sie Content schneller verbrennen, als sie ihn produzieren können. Deswegen veröffentlichen sie wieder wöchentlich – genau wie früher im TV.“
Über Total Video und neue Sehgewohnheiten
„Total Video heißt: Alles verschmilzt. Lineares Fernsehen, Streaming, On-Demand – der Konsument entscheidet selbst.“
„Der Big Screen ist größer, ja. Aber er steht noch immer im Wohnzimmer. Dieses gemeinsame Erlebnis bleibt etwas Besonderes.“
Über die Wahl seiner Nachfolgerin
„Ich durfte einen Vorschlag machen – und bin froh, dass man ihm gefolgt ist.“
„Ich bleibe meinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern als Quelle der Irritation erhalten. So braucht man kein Übergabedokument.“
Über Österreichs Medienlandschaft
„Österreich hat bis heute keine echte Medienpolitik.“
„Wir diskutieren alle paar Jahre über ORF-Beiträge oder Presseförderung, aber nie über die Rahmenbedingungen einer eigenständigen Medienlandschaft.“
„Eine nationale Antwort auf die Dominanz der Plattformen gibt es nicht – nur eine europäische.“
Über Wettbewerb und ungleiche Regeln
„Von einem Spielfeld, auf dem für alle dieselben Regeln gelten, sind wir Lichtjahre entfernt.“
„YouTube, Meta, Amazon – sie ziehen jedes Jahr Milliarden aus dem österreichischen Werbemarkt ab ab – mehr, als der gesamte klassische Werbemarkt umfasst – ohne journalistische Verantwortung oder Jugendschutz.“
„Eine Steuer, die dem österreichischen Niveau entspräche, würde viele heimische Medien retten.“
Über die Wahl des ORF-Generaldirektors und Breiteneckers Chancen
„Ich war nicht der große Konkurrent des Markus Breitenecker. Markus Breitenecker hat hoch erfolgreich eine Sendergruppe in Österreich aufgebaut. Er hat Qualitäten gezeigt, die ich nicht habe. Er hat aus Puls 4 als redaktionell Verantwortlicher einen großartigen Sender gemacht.“
„Man sollte nur bei Vereinbarungen darauf achten, dass man sie schriftlich festhält.“
„Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen, die die Bestellung des ORF-Generaldirektors dominieren, sehe ich es persönlich so, dass Markus Breitenecker keine Chance hat.
„Ich glaube, dass die möglicherweise vorhandene politische Nähe zu Zeiten der Medienenquete unter dem damaligen Medienminister Blümel zur momentanen Besetzung der Spitze der ÖVP nicht mehr so gegeben ist.“
Über Rivalität und Respekt
„Wettbewerb belebt – aber er darf nie das gegenseitige Grundvertrauen zerstören.“
„Ich respektiere jeden, der in diesem Geschäft Verantwortung trägt. Wir alle wissen, wie schnell sich die Rahmenbedingungen ändern.“
„Häme liegt mir fern. In dieser Branche braucht man keine Feinde, die kommen von selbst.“
„Freunde habe ich außerhalb der Branche – Zahnärzte, Forstwirte. Das hält gesund.“
Über Media-Agenturen und Finanzierung
„Das Thema Kickbacks steht seit Jahrzehnten im Raum – und keiner räumt es wirklich auf.“
„Solange Agenturen um Honorare kämpfen, wird das System Schlupflöcher finden.“
„Transparenz wäre ehrlicher als die ständige Empörung über ein bekanntes Phänomen.“
Über Europa und die Macht der Plattformen
„Wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen, können wir als Europa etwas Eigenes aufbauen.“
„Ich glaube an ein Europa der Regionen – das ist kein Widerspruch, sondern die einzige Chance gegen die Machtblöcke.“
Über den Abschied von der Medienbühne
„Ich gehe nicht in Pension, ich gehe nur leiser.“
„Nach 46 Jahren weiß man: Veränderung ist kein Feind. Stillstand ist einer.“
„Ich bleibe – als Quelle der Irritation. Und als jemand, der das alles immer noch gern macht.“
ExtraDienst bedankt sich bei Walter Zinggl für die Gespräche – und wünscht ihm alles Gute für die weitere Zukunft.
(red/key/cwm)