Wenn Journalismus zur Umschulung wird
Die Konjunkturflaute trifft auch die Medienbranche. Im AMS-Programm Ajour sollen sich Journalisten neu orientieren.
Ende Oktober waren laut AMS rund 388.000 Personen arbeitslos oder in Schulung – um 4,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders stark betroffen: Kommunikations- und Medienberufe. Hunderte Stellen wurden heuer quer durch alle größeren und kleineren Medienunternehmen gestrichen. Unter den Betroffenen finden sich erfahrene Redakteure ebenso wie junge Berufseinsteiger, die erst kurz in Redaktionen tätig waren.
Für sie bietet das AMS Wien über die Initiative Ajour ein spezielles Coaching-Programm an, das helfen soll, beruflich neu Fuß zu fassen. Was in der Theorie nach einer guten Sache klingt, hat in der Praxis einen entscheidenden Haken: Es gibt kaum journalistische Arbeitsplätze, in die man zurückkehren könnte.
Orientierung mit offenem Ausgang
Die Initiative Ajour, getragen vom AMS Wien gemeinsam mit dem Presseclub Concordia, der Wirtschaftskammer und dem Verband Österreichischer Zeitungen, versteht sich als „Kompetenzzentrum für arbeitslose Journalistinnen und Journalisten“. Pro Jahr werden bis zu 80 Personen betreut, die in Workshops und Coachings neue Wege kennenlernen – innerhalb oder außerhalb der Medienwelt.
Kritiker in Redaktionen und Gewerkschaften sehen darin weniger eine Rückkehrhilfe als ein Instrument, das vielfach in andere Berufsfelder führt. Denn wer einmal in das Programm aufgenommen wird, hört bald von Umschulung, Selbstständigkeit oder Quereinstieg. Ajour öffnet Türen, sagen die einen. Ajour führt hinaus, sagen andere.
Politische Forderung mit doppeltem Signal
NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter hat das Thema jüngst in den politischen Diskurs gebracht. Im Standard-Interview regte sie an, das Modell österreichweit auszurollen – als Reaktion auf die steigende Zahl arbeitsloser Journalistinnen und Journalisten. Ihr Argument: Wer im weiteren Umfeld der Medienbranche tätig war, soll Unterstützung bei der Neuorientierung erhalten.
Das klingt pragmatisch und sozial, denn viele der Betroffenen waren zuvor als Content-Manager beschäftigt – mit nur losem Bezug zu journalistischer Arbeit. Für diese Gruppe kann Ajour tatsächlich ein sinnvoller Neuanfang sein. Für klassische Journalistinnen und Journalisten, die in Redaktionen bleiben möchten, wirkt das Programm hingegen mehr wie Umschulung.
Zwischen Anspruch und Realität
Rückmeldungen aus dem Umfeld des Projekts deuten darauf hin, dass die inhaltliche Ausrichtung eher auf allgemeine Karriere- und Persönlichkeitsentwicklung zielt als auf eine Rückkehr in den Journalismus. Die Coaches gelten als kompetent in beruflichen Fragen, verfügen jedoch selten über spezifische Medienerfahrung oder über Netzwerke, die eine tatsächliche Reintegration ermöglichen könnten.
Entsprechend liegt der Schwerpunkt vieler Module auf Themen wie Selbstvermarktung, Social Media oder Unternehmensgründung. Ziel ist es, individuelle Stärken herauszuarbeiten und alternative Berufsfelder zu erschließen – ein Ansatz, der manche stärkt, andere jedoch endgültig aus der Branche herausführt.
Eine stille Verschiebung
Das AMS verfolgt dabei keine medienpolitische Agenda, sondern die Logik seiner eigenen Erfolgskennzahlen: Wer nach einem Coaching „vermittelt“ ist, gilt als rehabilitiert – unabhängig davon, ob der neue Job im Journalismus oder in einem völlig anderen Bereich liegt. Die Teilnehmer sind sich dessen jedoch nicht bewusst und nachher oft enttäuscht.
Damit verschiebt sich der Zweck solcher Programme. Statt einer Reintegrationsmaßnahme wird eine Art berufliches Umlenkungssystem, das still, aber wirksam die Zusammensetzung der Branche verändert und ausdünnt.
Ein Coach bringt es nüchtern auf den Punkt: „Als es noch die gedruckte Wiener Zeitung gab, konnten wir gelegentlich Teilnehmer dorthin vermitteln. Heute ist das fast unmöglich.“
Was bleibt, ist eine wachsende Lücke zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung journalistischer Arbeit und den realen Bedingungen, unter denen sie noch möglich ist.
(PA/red)