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Thomas Abrechnung – Ein Rückblick

Helmut Thoma ist tot. Im Oktober 2023 führte er mit ExtraDienst-Herausgeber Christian W. Mucha eines seiner letzten großen Interviews. Das sechsseitige, spannende Gespräch lesen Sie nun hier auch online.

27.05.2025 11:55
Redaktion
© MG Mediengruppe
TV-Urgestein Helmut Thoma mit ED-Herausgeber Christian W. Mucha

Thoma’s Abrechnung

Die fast 85-jährige Legende, seinerzeit laut „Bunte“ wichtigste Person Deutschlands, rechnet schonungslos mit der Medienbranche ab. Helmut Thoma nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Da bleibt kein Auge trocken.

Das Interview führte Christian W. Mucha

EXTRADIENST: Herr Dr. Thoma, herzlich willkommen in unserem Verlag. Es ist mir eine Ehre, die wohl größte Legende im deutschen Mediengeschäft begrüßen zu dürfen. Erzählen Sie doch, wie das alles begann?
Helmut Thoma: Nach meiner Lehre und dem Gesellenbrief bei der Niederösterreichischen Molkerei habe ich die Maturaschule Dr. Roland absolviert. Dann mein Studium in dreieinhalb Jahren abgeschlossen. Mit 22 war ich bereits Dr. Juris. Nebenbei habe ich in der Schadensabwicklung der Bundesländer Versicherung gearbeitet. Danach folgte das Gerichtsjahr, bevor ich bei einer Rechtsanwaltskanzlei startete.

EXTRADIENST: Waren Sie als Jurist tätig?
Thoma: Ich habe Franz Olah und die Wiener Philharmoniker vertreten. Ich dachte mir, dass das Thema Urheberrecht durchaus spannend ist. Da waren die Experten rar gesät.

EXTRADIENST: Danach kamen Sie zum ORF?
Thoma: Richtig. Ich stieg beim ORF in der Rechtsabteilung ein.

EXTRADIENST: Wie war Ihr Verhältnis zu Gerd Bacher, dem mächtigen „Tiger“?
Thoma: Eher schwierig. Bei seiner ersten Rede im großen Sendesaal habe ich eine blöde Bemerkung gemacht, die mir dann lange nachgehangen ist …

EXTRADIENST: Was war die Bemerkung?
Thoma: Bacher sagte, es gäbe jetzt keine Roten und keine Schwarzen mehr, sondern nur noch ORF-Mitarbeiter. Dann meinte er: „Damit ihr wisst, wo ich stehe: Ich bin ein heimatloser Rechter.“ Da habe ich bemerkt: Das ist kein Wunder, die Partei ist inzwischen verboten …

EXTRADIENST: Wie hat er darauf reagiert?
Thoma: Ich habe das nicht laut gesagt, aber es hat sich herumgesprochen. Doch es hat einfach gestimmt. Er kam aus Salzburg mit Helmut Lenhardt und Alfons Dalma, der eigentlich Stipe Tomicic hieß und bei der Ustascha war.

EXTRADIENST: Wie ging Ihre Karriere weiter?
Thoma: Ich habe mich schon immer gerne international orientiert. Also habe ich mich intensiv in der Europäischen Rundfunkunion betätigt. Dort wurde ich zur juristischen Kommission eingeladen. Da war zweimal im Jahr eine Konferenz. Die zweite war in Zypern. Wir waren dort unterwegs und fuhren dann zurück nach Nikosia. Mit dem Autobus. Mein Chef Gustav Chamrath hat aber einen Kollegen vom NDR getroffen, die sind mit dem Auto gefahren. Sie haben mich auch gefragt, aber ich habe abgelehnt.

Thoma: Die beiden sind mit dem Auto gegen einen unbeleuchteten Militärlaster gebraust. Chamrath war tot und der vom NDR schwer verletzt. Ich habe mich am nächsten Tag darum gekümmert und den Deutschen beim österreichischen Bundesheer, das damals als Friedenstruppe dort stationiert war, untergebracht. Die waren spezialisiert auf solche Verletzungen und haben sich gut um ihn gekümmert. Ich wurde dann eingeladen vom zypriotischen Staatspräsidenten Makarios. Am Schluss fragt er mich, ob er etwas für mich tun könne. Da bat ich ihn, mir zu helfen, den Leichnam nach Österreich zu überführen. Am nächsten Tag war der in Wien.

Zwei, drei Tage später kam ich dann nach Wien. Bacher lud mich kurz nach meiner Rückkehr ein. Und erzählte dann, dass sein Chauffeur bei der Rückreise von Ungarn nach Österreich einen Herzinfarkt erlitten hatte. 14 Tage habe es gedauert, den Leichnam nach Österreich zu überführen. „Sie haben zwei Tage dafür gebraucht“, sagte er dann zu mir. „Wollen Sie nicht die Rechtsabteilung übernehmen?“ Da war ich 28 Jahre.

EXTRADIENST: Und danach?
Thoma: Da war ich der jüngste Justiziar Europas. Und damit eigentlich Mitglied des ORF-Direktoriums. Ich war bei jeder Sitzung dabei.

EXTRADIENST: Was kam nach dem ORF?
Thoma: Bei diesen Sitzungen habe ich auch den Chef von RTL, Gust Graas, kennengelernt. Das Unternehmen gab es schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Es hieß damals Radio Luxemburg und gehörte den Franzosen.
Mit dem RTL-Chef jedenfalls habe ich mich im Zuge meiner Tätigkeit öfter unterhalten. 1972 fragte er mich, ob ich bereit wäre, aus Wien wegzugehen.

EXTRADIENST: Und Sie haben angenommen?
Thoma: Mir wurde die Generalvertretung von Radio Luxemburg angeboten. Das war allerdings keine Luxemburger Firma, sondern eines der damals größten französischen Staatsunternehmen, Havas. Für die habe ich die Funktion in Frankfurt übernommen.

EXTRADIENST: Also sind Sie nach Deutschland gewechselt …
Thoma: Erst wurde ich eineinhalb Jahre in Paris eingeschult, weil ich von Werbung überhaupt keine Ahnung hatte.

EXTRADIENST: Wann hat TV gestartet?
Thoma: Erst kam Hörfunk. Vier französische Peripherie-Sender, für die ich auch einiges gestalten musste. Neue Büros zum Beispiel und so weiter.

EXTRADIENST: Das war dann in Frankfurt?
Thoma: Ja, im schönen Westend. Dort, wo Joschka Fischer steinewerfend durch die Straßen gezogen ist. Da gab es jedes Wochenende eine Demonstration …

EXTRADIENST: Wann hat man mit TV gestartet?
Thoma: Langsam kam die Frage nach Satellitenfernsehen auf. Luxemburg hat einen Platz auf einem Direkt-Satelliten bekommen. Schließlich wurde ich gefragt, ob ich dort das Programm aufbauen will, weil Frank Elstner gerade weggegangen ist. Also bin ich nach Luxemburg gegangen. Habe dort den Hörfunk übernommen, neue Sendungen eingeführt.

EXTRADIENST: Was hat Frank Elstner gekostet?
Thoma: Elstner hat bei RTL als Moderator angefangen. Ist dann zum Direktor geworden. Er war für den inhaltlichen Teil zuständig, ich für den kaufmännischen. Und als er weg ist und Wetten, dass …? etablierte, habe ich den inhaltlichen Teil auch noch übernommen. Dann sollte ich Satellitenfernsehen aufbauen …

EXTRADIENST: Hatten Sie Anteile an dem Sender?
Thoma: Nein. Das war wohl mein größter Fehler.

EXTRADIENST: Hat man Ihnen Anteile angeboten?
Thoma: Nein, aber ich hätte Anteile bekommen, wenn ich gewollt hätte. Zwei oder drei Prozent.

EXTRADIENST: Was haben Sie damit verloren?
Thoma: Naja, rechnen Sie es aus: Wie viel ergeben zwei oder drei Prozent von 12 Milliarden Euro?

EXTRADIENST: Na bumm. Ein fetter Betrag. Und wie ging es dann weiter mit dem Fernsehen?
Thoma: Wir haben tolle Business-Pläne gemacht und alles. 1983 bin ich dann nach Französisch-Guyana, um beim Start der Ariane-Trägerrakete dabei zu sein. Kurz nach der Rückkehr erfuhren wir, dass der Satellit seine Position zwar erreicht hat, aber das Flügerl nicht entfaltet. Das Ding war damit kaputt.

EXTRADIENST: Sie haben also auf den nächsten Satelliten gewartet?
Thoma: Nein, wir bekamen dann einen übrig gebliebenen Kommunikationssatelliten. Der hatte allerdings eine deutlich schwächere Leistung. Wir haben dann aufs Kabelfernsehen gehofft.

EXTRADIENST: Wann ging die erste Sendung von RTL on air?
Thoma: Am 2.1.1984. Mit einem Team von 25 Mitarbeitern. Die habe ich noch dazu vom Hörfunk abziehen müssen.

EXTRADIENST: Und der Standort war?
Thoma: In Luxemburg, in einer Autobusgarage.

EXTRADIENST: Wie hoch war das Budget damals?
Thoma: 25 Mio. D-Mark (12,5 Mio. Euro).

EXTRADIENST: Danach ging es mit den ersten Sendungen los?
Thoma: Ja, aber auch mit den ersten Schwierigkeiten. Wir gingen davon aus, als einziger Privater neben den deutschen Öffentlich-Rechtlichen zu senden. Allerdings tauchte plötzlich Leo Kirch auf. Der bekam von den Deutschen eine Frequenz, da er ja sehr gute Kontakte zum damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl hatte.

EXTRADIENST: Leo Kirch war auch der größte Filmhändler. Von ihm haben Sie dann auch die Filme bekommen?
Thoma: Ich hätte sie bekommen. Aber ich habe sie nicht genommen.

EXTRADIENST: Er selbst hat dann mit Sat.1 losgelegt?
Thoma: Richtig. Er selbst ist dann am 1.1.1984 gestartet.

EXTRADIENST: Wie viel Reichweite hatte RTL zum Start?
Thoma: Ein bisschen etwas vom Saarland. Also irgendetwas um 0,00… Prozent.

EXTRADIENST: Wie war die Konkurrenz mit Sat.1?
Thoma: Kirch hatte in seinem Lager 15.000 Spielfilme und 50.000 Stunden Programm.

EXTRADIENST: Und RTL?
Thoma: Wir hatten 12 Filme. Die irgendwo übrig geblieben waren. Kirch hatte ja praktisch ein Monopol. Das ZDF hat 26 Jahre lang nur von ihm gekauft. Nicht einmal die Amerikaner brachten da einen Fuß in die Tür. Kirch hatte alles im Griff. Und hat die Leute bestochen. Ganz am Ende des Jahres bekamen die beim ZDF Porsches und so weiter.

EXTRADIENST: Nach fünf Jahren war RTL wo?
Thoma: Wir waren nach drei Jahren schon in den schwarzen Zahlen.

EXTRADIENST: Wie viel hat das erste Jahr gekostet?
Thoma: Wir setzten 25 Mio. D-Mark ein. Und brauchten auch einen Partner …

EXTRADIENST: Wer ist da gekommen?
Thoma: Gekommen ist Bertelsmann. Dazu muss man sagen: Bertelsmann war eigentlich nur eine Ersatzlösung.

EXTRADIENST: Wie viel Prozent Anteil hatten die?
Thoma: 45 Prozent.

EXTRADIENST: Und nach drei Jahren war man in den schwarzen Zahlen. Dann kamen die legendären RTL-Sendungen …
Thoma: Ja, meine Überlegung war: Wenn ich keine Filme habe, muss ich etwas anderes machen. Und wir haben es mit Provokation versucht. Spätabends etwa mit Soft-Erotik. Die hat Kirch ja nicht gekauft, weil das ZDF das nicht wollte.

EXTRADIENST: Und es gab die berühmte Sendung mit Hugo Egon Balder …
Thoma: Tutti Frutti. Das ist allerdings erst in den 90ern gestartet.

EXTRADIENST: Was war Ihr Motto damals?
Thoma: Ich wollte den Menschen etwas bieten, das sie amüsiert. Also erfrischend anders. Notfalls auch erschreckend anders. Hauptsache anders. Das ist mir ganz gut gelungen. Ich habe die verschiedensten Dinge neu aufgelegt. Zum Beispiel einfache Spiele. Wie etwa eine simple Form von Was bin ich? Der Unterschied zu Kirch war: Er spielte hauptsächlich alte Filme ab. Das hat die Menschen nicht so interessiert. Über unsere Inhalte konnte man sich aufregen. Darüber konnte man diskutieren. Und auf eines habe ich immer Wert gelegt: die Nachrichten.
Dadurch, dass Radio Luxemburg Mitglied der Europäischen Rundfunkunion ist, hatten wir Zugang zur Eurovision. Dadurch hatte ich den kompletten Newsfeed von der Eurovision zu meiner Verfügung. Das hatten die bei Sat.1 nicht.

EXTRADIENST: Wann war der Punkt, wo klar war: RTL hat es geschafft?
Thoma: Das war eigentlich nach drei, vier Jahren.

EXTRADIENST: Was war das Schlüsselerlebnis?
Thoma: Der große Schritt war die technische Verbreitung. Luxemburg hatte Frequenzen mit Deutschland getauscht und plötzlich hatten wir einen Sender im Ruhrgebiet. Der entscheidende Punkt war dann, dass wir 1992 die Marktführung in der jungen Zielgruppe erobert hatten.

EXTRADIENST: Wie viel Gewinn hat RTL da gemacht?
Thoma: Wohl ein paar hundert Millionen Mark.

EXTRADIENST: Wie lange waren Sie bei RTL?
Thoma: Bis Ende 1999.

EXTRADIENST: Ende der 90er-Jahre hatten Sie Ihren großen Showdown mit RTL?
Thoma: Das war 1997, 1998.

EXTRADIENST: Wie ist das abgelaufen?
Thoma: Die Bertelsmänner wollten neben RTL noch anderes TV machen, das konnten sie aber vertraglich nicht. Es ist mir dann noch gelungen, die WAZ mit 10 Prozent an Bord zu holen. Die sind mit fünf Mio. Euro eingestiegen und haben sich dann mit 600 Mio. Euro verabschiedet.

EXTRADIENST: Was war der Auslöser für die Auseinandersetzung?
Thoma: Da gab es keinen großen Punkt, sondern viele kleine Nadelstiche. Die Bertelsmänner wollten immer mitreden …

EXTRADIENST: Mit wie viel Prozent?
Thoma: Bertelsmann hatte 39 Prozent, die WAZ 10 Prozent, und 51 Prozent hatte die CLT, die Muttergesellschaft von RTL.

EXTRADIENST: Das waren also Nadelstiche, die auch bei Ihnen Schmerzen hinterlassen haben …
Thoma: Ja, das Wort Nadelstiche trifft es wohl am besten. Es war nicht unbedingt deren Sache, Programm zu machen. Wenn es um Inhalte ging – das war nicht unbedingt ihr Ding.

EXTRADIENST: Dann haben Sie sich Hans Mahr als Chefredakteur geholt?
Thoma: Ja, wir waren ja schon vorher befreundet. Und nachdem ich mich von dem Chefredakteur, den ich aus Bremen holte – also das Linkste, was man finden kann – trennte, habe ich ihn geholt.

EXTRADIENST: Wie ordnen Sie sich denn selber politisch ein?
Thoma: In der Mitte.

EXTRADIENST: Aber vielleicht nicht doch ein bisschen Mitte-Links?
Thoma: Das kann man so nicht sagen. Ich bin liberal.

EXTRADIENST: Bitte definieren Sie liberal?
Thoma: Liberal heißt, für alle Möglichkeiten offen zu sein. Unser Credo bei RTL war: Wir haben ein demokratisches Spektrum. Und wer Teil davon ist, ist in Ordnung. Aber wir wollen niemanden belehren. Wir sind neutral.

EXTRADIENST: Hätte es bei Ihnen einen Armin Wolf gegeben?
Thoma: Den hätte ich hinausgeschmissen.

EXTRADIENST: Warum?
Thoma: Weil es nicht die Aufgabe der Journalisten ist, Erzieher der Nation zu spielen. Ein Journalist soll die Geschichten erzählen, die Informationen vermitteln.

EXTRADIENST: Wie war nun die Geschichte mit Hans Mahr?
Thoma: Mahr ist ein wirklich guter Boulevardjournalist. Und sehr fleißig. Er war immer verfügbar. Aber er hat sich überschätzt, als er glaubte, er könne auch den Programmdirektor geben. Das ist er nicht.

EXTRADIENST: Aber man sagt, im Streit mit Mahr wäre auch Ihre Zusammenarbeit mit RTL zerbrochen. Stimmt das?
Thoma: Das hatte damit überhaupt nichts zu tun.

EXTRADIENST: Warum ist es dann zerbrochen?
Thoma: Wieder passt das Wort Nadelstiche. Das Entscheidende war wohl, dass sich die WAZ für unser Geschäft nicht so wirklich interessiert hat. Die haben das zur Gänze Bertelsmann überlassen. In Luxemburg hat sich GBL beteiligt, die haben dann auch Geschäfte mit Bertelsmann abgewickelt. Damit hat Bertelsmann noch mehr Macht bekommen. Wobei ich sagen muss: Ich bin ja dann mit 60 Jahren ganz normal aus dem Unternehmen ausgeschieden. Nur wollte ich an sich noch ein paar Jahre bleiben. Nur ist es mir dann sehr leicht gemacht worden. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, hat mich eingeladen, in sein Kabinett als Staatssekretär für Medien zu kommen.

EXTRADIENST: Da haben Sie dann über Nacht wohl weit weniger verdient …
Thoma: Da habe ich gar nichts verdient. Denn ich war zu alt dafür. Als angestellter Staatssekretär beträgt die Altersgrenze 55 Jahre in den Bundesländern. Also haben wir eine andere Lösung gesucht. Ich bin dann Medienberater der Landesregierung geworden. Für 1 Euro.

EXTRADIENST: Pro Monat?
Thoma: Pro Jahr. Dafür hatte ich aber alle Vergünstigungen, wie etwa einen Dienstwagen.

EXTRADIENST: Direkte Frage: Was haben Sie denn bei RTL am Schluss gecasht?
Thoma: Ein paar hunderttausend Euro.

EXTRADIENST: Sie waren der mächtigste Medien-Tycoon in Deutschland. Wie fühlt sich so etwas an?
Thoma: Nun, 1993 hat die Bunte eine Liste der wichtigsten Deutschen erstellt. Eine sehr aufwendige Sache. Das ging bis zum Jahr 2000. Und im ersten Jahr stand da plötzlich ein gewisser Helmut Thoma an der Spitze dieser Liste. Noch vor Helmut Kohl (!). Als Thomas Klestil auf Staatsbesuch nach Deutschland kam, wurden auch die einflussreichen Österreicher eingeladen. Wie etwa VW-Chef Ferdinand Piëch. Kohl stellte uns dann vor. Als ich dran kam, meinte er launig: „Das ist also Helmut Thoma. Chef von RTL. Im Übrigen von der Bunten zum wichtigsten Deutschen gekürt. Mit dem Vorgänger hatten wir sehr schlechte Erfahrungen …“

EXTRADIENST: Oje, der hieß wohl Adolf mit Vornamen …
Thoma: (grinst)

EXTRADIENST: Aber wie war das in der Öffentlichkeit? Hat man Sie angesprochen? Haben Sie Autogramme verteilt?
Thoma: Ich hatte schon Autogrammkarten. Aber das war mir nicht so wichtig. Was mich wirklich freute, war, dass ich der Erste im deutschsprachigen Raum war, dem der persönliche Emmy verliehen wurde. Den hatte vorher etwa Ted Turner bekommen oder Silvio Berlusconi.

EXTRADIENST: Wie lange waren Sie Berater der Regierung?
Thoma: Dreieinhalb Jahre.

EXTRADIENST: Und danach?
Thoma: Dann ist Clement als Wirtschafts- und Arbeitsminister nach Berlin gegangen. Ich war dann noch vier Jahre für Springer beim größten Sender in der Türkei. Daneben saß ich bei der UEFA im Commercial Board.

EXTRADIENST: Dort lernten Sie Berlusconi kennen?
Thoma: Den lernte ich eigentlich schon vorher kennen. Denn Herbert Kloiber wollte, dass ich den Sender Tele 5 für ihn verkaufe. Er hat Berlusconi angerufen. Und der hat mich nach Mailand eingeladen. In das schönste Büro, das ich je gesehen habe. Mit antiken Bronzestatuetten. Mit Bildern von Canaletto an den Wänden. Der hat mir Tele 5 angedient. Aber ich habe abgelehnt. Er hat das auch verstanden.

EXTRADIENST: Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Was passiert jetzt gerade mit RTL?
Thoma: Es wird höchstwahrscheinlich irgendwann einmal verkauft werden. Wenn das noch jemand kauft. Denn das wurde völlig ruiniert.

EXTRADIENST: Was läuft da Ihrer Meinung nach falsch?
Thoma: Es fehlt einfach das Gefühl fürs Fernsehen. Dort sind Menschen am Werk, die ungeeignet sind. Dort finden auch dauernd Wechsel an der Spitze statt. Von der alten Mannschaft ist kaum noch jemand da. Und – die ganze Begeisterung ist weg.

EXTRADIENST: Wie unterscheidet sich das von seinerzeit?
Thoma: Für mich war es eine wunderbare Aufgabe. Ich wollte damals irgendetwas schaffen, was sich hält. Nicht für ewig, das wusste ich.

EXTRADIENST: Und heute?
Thoma: Das ganze Flair ist weg. Inzwischen werden alte Sendungen zurückgeholt. Die gehen aber nicht mehr. Es fällt ihnen nichts ein. Die Deutschen sind generell nicht kreativ.

EXTRADIENST: Deutschland sucht den Superstar oder der Dschungel bringen aber doch Quoten?
Thoma: Ja.

EXTRADIENST: Aber es ist nicht das, was Ihnen vorschwebt. Was würden Sie den RTL-Machern denn raten?
Thoma: Man müsste versuchen, den alten Geist wiederzubeleben. Dass RTL immer noch gut geht und weiter vor Sat.1 liegt, hat drei Gründe: Die Daily Soaps Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Unter uns und Alles was zählt. Wenn es die nicht gäbe, wäre RTL schon weg vom Fenster. Sie sind das Rückgrat des Senders.

EXTRADIENST: Günther Jauch?
Thoma: Ja, den habe ich noch eingekauft. Aber die Sendungen, die er macht, sind inzwischen in fast allen Ländern schon wieder eingestampft.

EXTRADIENST: Hat Fernsehen eine Zukunft?
Thoma: Als ich dort eingetreten bin, waren 700.000 Menschen angemeldet. Heute sind es 3,5 Millionen. Das Geld kam von allen Seiten. Die Parteien kamen von allen Seiten und wollten ihre Leute unterbringen. Nehmen Sie etwa die Situation in Österreich: Der ORF ist eine Missgeburt geworden sondergleichen. Das Schrecklichste ist, dass er die ganze Kreativität in Österreich, die vorhanden wäre, enorm bremst. Weil er so viel aus Deutschland übernimmt.

EXTRADIENST: Dancing Stars – braucht man so was?
Thoma: Wenn, dann hätten wir es erfinden müssen.

EXTRADIENST: Starmania?
Thoma: (macht eine abfällige Bewegung) Nein. Das ist es doch alles nicht. Ich war früher ein Verfechter des „Öffentlich-Rechtlichen“. Denn es gab so wenig Frequenzen. Dass man die einem Privaten übergibt, war nicht einzusehen. Bruno Kreisky wollte dann das zweite Programm an Springer verkaufen. Also im Grunde genommen hätte Österreich sehr schnell dieses öffentlich-rechtliche System, das nichts anderes ist wie die Markenverwaltung bei den Lebensmitteln nach dem Zweiten Weltkrieg, hinter sich lassen können. Heute lässt sich ein Fernsehprogramm relativ einfach mit dem Computer herstellen.

EXTRADIENST: Was sagen Sie zur Fernsehgebühr?
Thoma: Ich meine, wir haben mit dieser Fernsehgebühr eine blödsinnige Regelung. Die Franzosen sind dabei, sie nächstes Jahr abzuschaffen. Die sozialistischen Dänen schaffen sie ab. Die Germanen bilden da wieder eine Ausnahme. Das hat aber zu tun mit einem politischen Krieg aus Urzeiten zwischen dem Bundesverfassungsgerichtshof und Konrad Adenauer, der ein bundesweites Fernsehen haben wollte.

EXTRADIENST: ProSieben und die ProSieben-Sat.1-Puls-4-Gruppe in Österreich: Was sagen Sie denn zu dieser Gruppe? Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie sind nicht begeistert von denen. Warum?
Thoma: Das war im Grunde genommen der Abspielkanal von Leo Kirch. Alle glaubten, der wird alles hinwegfegen. Aber nach sieben, acht Jahren waren die immer noch nicht in den schwarzen Zahlen.

EXTRADIENST: Was war der Grund?
Thoma: Die alten Filme haben die Leute nicht interessiert. Dagegen war unsere neue Form provokant. Zum Beispiel Tutti Frutti. Das habe ich von Berlusconi übernommen.

EXTRADIENST: Was halten Sie von Markus Breitenecker?
Thoma: Ich lernte ihn kennen, als er jemanden suchte, der ihn mit seiner Programmidee aufnimmt.

EXTRADIENST: Was war die Idee?
Thoma: Programm für ein Österreich-Fenster.

EXTRADIENST: Warum haben Sie das nicht gemacht?
Thoma: Weil ich in Österreich nicht die Chancen gesehen habe. Der ORF besetzt hier einfach den Werbemarkt.

EXTRADIENST: Und Ihre persönliche Meinung zu Breitenecker?
Thoma: Ich dachte immer, sein Traum sei es, beim ORF etwas zu werden. Damit geht das nicht. Ich kann doch nicht als unmittelbarer Konkurrent gleichzeitig sagen: Bitte nehmt mich doch einmal.

EXTRADIENST: Was ist das für ein Charakterzug?
Thoma: Feigheit. Er hatte nie den wirklichen Traum, etwas selber zu machen. Dabei hatte er alle Chancen.

EXTRADIENST: Wenn ich Sie richtig interpretiere – Sie meinen also, er hat immer primär seine eigene Karriere im Sinn …
Thoma: Das ist ihm ja auch gelungen. Sat.1 hat ihn gelassen. Weil lange Zeit Sat.1 überhaupt niemand mehr gelenkt hat.

EXTRADIENST: Wie gut sind Sie mit Gerhard Zeiler?
Thoma: Gar nicht.

EXTRADIENST: Warum?
Thoma: Das ist halt ein „angehender Politiker“. Er versucht es zumindest immer wieder. Ich halte ihn für absolut charakterlos. Und er hat sich auch mir gegenüber so benommen.

EXTRADIENST: Was hat er getan?
Thoma: Ich habe ihm bei Tele 5 geholfen, ich habe ihm bei RTL geholfen. Und dann hat er meine gesamte Mannschaft hinausgeworfen. Obwohl ich ihn gebeten habe, dass er etwa den Chauffeur weiterbeschäftigt. Nein, er hat alle entlassen.
Den Job in Amerika hat er auch ein bisschen aufgeblasen. Dabei hat Warner nur jemanden gesucht, der ihnen ihren Sender in der Tschechoslowakei schupft. Das hat zuvor die Justiziarin halbtags gemacht.

EXTRADIENST: Sie sagen, RTL hat es schwer, ProSieben hat es schwer, der ORF hat es schwer. Und trotzdem hat Fernsehen eine Zukunft. Wie geht das zusammen?
Thoma: Es wird sich technisch noch weiterentwickeln. Eines Tages werden wir Virtual Reality überall haben. Da wird man dann wirklich im Dschungel sein. Über das Krokodil hinwegsteigen. Und das wird dann auch ohne virtuelle Brille gehen. Die Oculus ist erst der Anfang. Dann wird Fernsehen zum Theater. Und viel mehr kann man daraus nicht machen.

EXTRADIENST: Danke für das Gespräch.


Das Interview erschien im Magazin ExtraDienst ED 9-10/2023

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