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Regierung sucht Sonderweg bei Anti-SLAPP-Gesetz

Journalisten und Journalistinnen sollen durch ein EU-weites Gesetz vor Einschüchterungsklagen geschützt werden. Doch über das rechte Maß wird gestritten.

16.10.2025 12:56
Redaktion
© Parlamentsdirektion/​Michael Buchner
Sitzung des EU-Ausschusses des Bundesrats am 8. Oktober 2025 in Wien: Auch auf nationaler Ebene geraten EU-Vorhaben wie die Richtlinie gegen SLAPP-Klagen zunehmend in den Fokus.

A slap in the face – auf Deutsch: ein Schlag ins Gesicht. Genau so werden SLAPP-Klagen empfunden. Zumindest von jenen, die glauben, damit konfrontiert zu sein. Bis spätestens 7. Mai 2026 müssen alle EU-Mitgliedstaaten eine Lösung anbieten, um derartige Tiefschläge auf juristischem Terrain zu unterbinden.

Die Richtlinie (EU) 2024/1069 soll Personen schützen, die sich „öffentlich beteiligen“ – etwa Journalistinnen und Journalisten, Whistleblower oder Aktivisten – und dabei zur Zielscheibe sogenannter Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPP) werden.

Solche Verfahren zielen darauf ab, kritische Stimmen durch hohe Kosten und langwierige Gerichtsverfahren einzuschüchtern. Die EU will dieser Praxis mit einem beschleunigten Abweisungsverfahren und mit möglichen Sanktionen gegen missbräuchliche Kläger begegnen.

Regierungsentwurf mit Konfliktpotenzial

In Österreich liegt ein Gesetzesentwurf des Justizministeriums vor, der laut Standard-Bericht über die EU-Vorgaben hinausgeht. Erfasst werden sollen demnach nicht nur grenzüberschreitende, sondern auch innerstaatliche SLAPP-Fälle. Zudem sieht der Entwurf Strafen für missbräuchliche Klagen vor. Genau diese Ausweitung stößt bei der ÖVP auf Widerstand. Ihr Justizsprecher, der Linzer Anwalt Mag. Klaus Fürlinger, spricht von einer „nicht notwendigen Übererfüllung“ der Richtlinie. Österreich habe bereits ausreichende rechtliche Mittel, um sich gegen schikanöse Klagen zu wehren – zusätzliche Regelungen seien daher entbehrlich.

Österreichisches System bietet bereits Schutz

Medienanwalt Dr. Peter Zöchbauer, der am Donnerstag beim Rundfunkforum 2025 über die Anti-SLAPP-Richtlinie spricht, teilt die Einschätzung, dass der österreichische Zivilprozess ohnehin über ein „starkes Instrumentarium“ gegen missbräuchliche Klagen verfügt.
„Der Kläger muss Gerichtsgebühren zahlen und trägt im Fall einer Niederlage sämtliche Kosten – der Anreiz für aussichtslose Klagen ist gering“, erklärt Zöchbauer im Gespräch mit ExtraDienst.
Auch die Möglichkeit, eine offensichtlich unbegründete Klage frühzeitig abzuweisen, sei im Medienrecht längst verankert. „Wenn ein Antrag unschlüssig oder evident unberechtigt ist, wird das Verfahren eingestellt, ohne dass es zur Hauptverhandlung kommt“, so Zöchbauer.

Was ein „Überschießen“ bedeuten könnte

Während Fürlinger vor einer Übererfüllung der EU-Vorgaben warnt, sieht Zöchbauer vor allem die Abwägung zwischen Schutz und Rechtsschutz als zentral: Ein zu weiter Anwendungsbereich kann dazu führen, dass Kläger in berechtigten Fällen abgeschreckt werden – etwa, wenn sie sich gegen falsche Tatsachenbehauptungen wehren wollen.
Zöchbauer verweist auf den Justizgewährungsanspruch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention: „Jeder Kläger hat Anspruch darauf, dass seine zivilrechtlichen Ansprüche geprüft werden.“ Ob eine Klage tatsächlich eine SLAPP ist, erkenne man meist erst im Verlauf oder am Ende eines Verfahrens – nicht am Anfang. Der Jurist plädiert daher für Zurückhaltung bei vorschnellen Bewertungen.

Abkühlung einer hitzigen Debatte

Wie komplex die Abgrenzung ist, zeigt der Fall Holzer gegen Scheuba. Der Satiriker Florian Scheuba hatte dem damaligen Bundeskriminalamtsdirektor Andreas Holzer in einer Kolumne Untätigkeit vorgeworfen und wurde wegen übler Nachrede schuldig gesprochen. Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 7.000 Euro, die Hälfte davon bedingt. Scheubas Anwältin Maria Windhager sprach auf der Plattform Bluesky von einem „schweren Rückschlag für die Meinungs- und Satirefreiheit“ und kündigte einen Erneuerungsantrag beim OGH an.
Scheuba gilt in vielen Medien als typisches SLAPP-Opfer – jemand, der mit einer Klage zum Schweigen gebracht werden soll.

Steigende Zahl von Fällen

Laut einem Report der Coalition Against SLAPPs in Europe, einem Zusammenschluss von rund 110 NGOs, wurden im Jahr 2023 insgesamt 166 neue SLAPP-Fälle registriert. Zu den erfassten Fällen zählte auch Florian Scheuba, der das Verfahren rechtskräftig verloren hat. Gerade dieser Fall illustriert den schmalen Grat zwischen berechtigter Kritik und Persönlichkeitsverletzung. Während NGOs in Europa regelmäßig vor einem Anstieg solcher Verfahren warnen, zeigt sich, dass der Begriff SLAPP zunehmend selbst als rhetorisches Instrument eingesetzt wird – als Verteidigung gegen unliebsame Urteile.
Auch der Rechtsschutz gegen üble Nachrede und Falschbehauptungen ist Teil einer funktionierenden Demokratie – ebenso wie der Schutz derer, die Missstände aufdecken.

Österreich zwischen zwei Systemen

Die aktuelle Diskussion zeigt ein Spannungsfeld, das weit über juristische Detailfragen hinausgeht. Einerseits steht das legitime Anliegen, Journalist:innen vor Einschüchterung zu schützen – andererseits das Prinzip, dass jedes neue oder reformierte Gesetz nicht nur eine Berufsgruppe anspricht, sondern selbstverständlich für alle gelten muss und berechtigte Klagen nicht verhindern darf.

Nachgedacht:
Dass der ÖVP-Anwalt in die Debatte hineingrätscht und dabei den Eindruck erweckt, innerstaatliche Klagen müssten gar nicht eingeschränkt werden, ist ein Signal, auf das der Journalismus gut verzichten könnte.
Ein typisch österreichischer Ansatz halt. Das, was wir hierzulande so dringend brauchen – auch in diesem, für freien Journalismus so wesentlichen Bereich –, ist keine Austro-Extra-Wurscht.

(red)

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