Nora Schäffler: „Ich hätte viel zu sagen gehabt“
Die Robert-Hochner-Nachwuchspreisträgerin spricht über ihren Zugang zum Journalismus – und über das, was sie bei der Preisverleihung sagen wollte.

Der Robert‑Hochner‑Nachwuchspreis für herausragende journalistische Leistungen im digitalen Raum wurde im Jahr 2025 erstmals vergeben. – gemeinsam vergeben von ORF und Journalistengewerkschaft. Ausgezeichnet wurde die 26-jährige Nora Schäffler, Redakteurin der Wiener Zeitung, für ihren reflektierten und medienkritischen Zugang zu Themen der jungen Zielgruppe. Die Jury lobte ihre analytische Tiefe und ihre Entschlossenheit. Aufmerksamkeit erhielt die Verleihung aber auch deshalb, weil Schäffler – anders als ihre beiden Kollegen Josef Votzi (Kurt-Vorhofer-Preis) und Nora Zoglauer (Robert-Hochner-Preis) – bei der Veranstaltung keine Rede halten durfte.
Die Verleihung fand in der Präsidentschaftskanzlei statt, festlich inszeniert, mit Applaus, Ansprachen und repräsentativem Rahmen. Der Bundespräsident selbst sprach mahnende Worte, warnte vor der „Gerüchteebene“ und appellierte an den Qualitätsjournalismus. Josef Votzi nutzte seine Redezeit für eine fundamentale Kritik an der Medienpolitik – sprach von einer „maroden medialen Infrastruktur“, die gefährdeter sei als die Deutsche Bahn. Nora Zoglauer wiederum forderte schärfere Gesetze gegen Einschüchterungsklagen und berichtete von konkretem Druck auf investigative Redaktionen. Es war ein Abend der Worte, gewichtigen Sätze und starken Botschaften.
Und dann – nach all den Reden – offenbart sich ein anderes Bild. Die jüngste Preisträgerin, ausgezeichnet für einen reflektierten, zukunftsgerichteten Zugang zum Journalismus, steht auf, nimmt ihren Preis entgegen – und sagt nichts. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätte. Sondern weil für sie keine Redezeit vorgesehen war.
Keine Bühne für junge Gedanken
Seither herrscht Verwunderung. Warum bekommt ausgerechnet die Nachwuchspreisträgerin keine Bühne? War es ein organisatorisches Versehen, ein symbolischer Fauxpas oder bloß ein unglücklicher Ablauf? ExtraDienst wollte es genauer wissen und hat Nora Schäffler von der Wiener Zeitung um ein Interview gebeten.

Dass sie keine Rede halten sollte, wusste Schäffler bereits im Vorfeld. Doch dass die beiden anderen Ausgezeichneten – Josef Votzi und Nora Zoglauer – bei der feierlichen Verleihung des Kurt-Vorhofer- und Robert-Hochner-Preises vor dem Bundespräsidenten sprechen konnten, während sie als einzige leer ausging – ein Umstand, der ihr im Moment durchaus irritierend erschien, wie Schäffler sagt.
Was sie bei der Preisverleihung gesagt hätte? „Ich hätte mich bei jenen bedankt, die mit Leidenschaft Qualitätsjournalismus machen – auch ohne Auszeichnung. Und ich hätte auf etwas hingewiesen, das viele betrifft: Die Arbeitsbedingungen in der Branche.“ Sie kenne talentierte junge Menschen, die aufgeben müssten, weil sie sich den Beruf schlicht nicht leisten können. „Am Ende muss man die Miete zahlen können. Es kann nicht sein, dass man sich für Journalismus aufopfert und dafür kaum abgesichert ist.“
Kritik an der Preisverleihung will sie nicht üben. „Ich habe gewusst, dass ich nicht sprechen werde. Aber ich verstehe, dass es für viele eigenartig wirkte, dass ausgerechnet die Jüngste – nach dazu eine Frau – keine Bühne bekommen hat.“ Rückmeldungen habe es viele gegeben. Manche hätten ihr nach der Veranstaltung gesagt, sie hätten gerne gehört, was sie zu sagen gehabt hätte.
Nora Schäffler im Gespräch
ExtraDienst: Sie haben den Robert-Hochner-Nachwuchspreis erhalten. Bitte erklären sie unseren Lesern in eigenen Worten, wofür sie ihn bekommen haben?
Nora Schäffler: Eigentlich für meine journalistische Arbeit. Speziell, glaube ich, wurde mein Artikel und mein Video zum Thema „Skinny Talk“ oft aufgegriffen. Ich denke, es ist heutzutage wichtig, scheinbar banale Trends, die auf Social Media schnell viel Raum einnehmen, einzuordnen und auch vor Gefahren zu warnen. Gerade, weil Journalismus oft als etwas wahrgenommen wird, das junge Menschen weniger interessiert. Wenn man da Themen aufgreift, die nah dran sind, fällt das positiv auf. Darüber freue ich mich sehr.
ED: Sie gehen sehr direkt an Themen heran, teilweise auch verdeckt. Woher kommt dieser Zugang?
Schäffler: Solche Selbstversuche zeigen einfach sehr schnell, wie leicht es jedem und jeder passieren kann. Mein erster Selbstversuch war mit der stellvertretenden Chefredakteurin Aleksandra Tulej. Da haben wir die Geschichte „Neue Lippen mit 15“ gemacht – wir sind zusammen auf Recherche gegangen, um zu sehen, wie schnell man auf Social Media in eine bestimmte Bubble rutscht. Ich habe dafür ein Instagram-Profil erstellt, bei dem ich mich als 15-Jährige ausgegeben habe. Dann kam ich mit Leuten in Kontakt, die durch Österreich touren und kleine Schönheitseingriffe anbieten – in dem Fall Lippenunterspritzungen.
Schäffler: Wir sind hingegangen, ich habe gefragt, ob es okay sei, wenn ich erst 15 bin, und Aleks hat sich als meine große Schwester ausgegeben. Solche Recherchen zeigen, wie schnell man in gefährliche Kontexte rutschen kann. Das macht die Sache für viele Leser:innen greifbar – man versteht besser, wie diese Dynamiken funktionieren.
ED: Social Media ist für Sie ein vertrauter Raum. Gleichzeitig arbeiten Sie bei der Wiener Zeitung, einem Haus mit Tradition, auch wenn es sich verändert hat. Warum haben sie sich für diesen Weg entschieden?
Schäffler: Ich habe schon vor zwei Jahren als freie Journalistin für die Wiener Zeitung geschrieben. Die Themen dort sind sehr modern – oft anders als erwartet. Es gibt viel Raum für Gen-Z-Themen, für gesellschaftlich Relevantes. Ich bin jetzt auch Social-Media-Redakteurin, also halb Content, halb Artikel. Ich finde, es ist ein Irrglaube, dass Qualitätsjournalismus nur in gedruckter Form existieren kann. Guter Journalismus kann genauso auf einer Website stattfinden oder in einem Social-Media-Video.
Schäffler: Die Wiener Zeitung war lange eine sehr traditionelle Marke, ja – älteste Tageszeitung Europas, vielleicht sogar weltweit. Aber durch die Neuausrichtung als Online-Medium ist sie sehr modern geworden. Und trotzdem sprechen wir nicht nur junge Leute an. Es ist keine Entweder-oder-Entscheidung.
ED: Viele, die journalistisch auf Social Media aktiv sind, bauen sich dort ihr Publikum auf – manche sehen das schon als vollwertige Form von Journalismus. Sie offenbar nicht?
Schäffler: Nein, ich bin hundertprozentig keine Influencerin oder Content-Creatorin. Für mich steht der Journalismus im Vordergrund. Ich nutze Social Media als Kanal, aber nicht als Bühne für mich selbst. Mein privates Instagram ist genau das – privat.
ED: Kommen wir zur Preisverleihung. Es war eine feierliche Veranstaltung, der Bundespräsident hat gesprochen. In der Berichterstattung fiel auf, dass Sie – anders als die anderen Preisträger:innen – keine Rede halten durften. Was hätten Sie gesagt?
Schäffler: Von Anfang an wurde mir gesagt, dass ich keine Rede halten soll, muss oder kann. Das war mir bewusst, als ich von der Auszeichnung erfahren habe – da war noch nichts öffentlich. Erst bei der Veranstaltung selbst habe ich realisiert, dass die anderen beiden Preisträger:innen sprechen dürfen. Ich weiß nicht, ob das mit dem neuen Preisformat zu tun hatte oder mit der Zeitplanung – wobei ja durchaus Raum für viele andere Reden war.
Schäffler: Hätte ich sprechen dürfen, hätte ich mich bei allen bedankt, die für Qualitätsjournalismus stehen – auch bei jenen, die nie einen Preis bekommen. Ich hätte meiner Chefredaktion und meinen Kolleg:innen gedankt. Und ich hätte gesagt, dass sich im Journalismus einiges ändern muss. Ich kenne viele, die diesen Beruf mit großer Leidenschaft machen, aber irgendwann aufgeben müssen, weil sie davon nicht leben können. Diese Schieflage – wer was verdient, wer es sich leisten kann, zu bleiben – ist einfach nicht gerecht.
ED: Es geht Ihnen also auch um prekäre Arbeitsverhältnisse und faire Bezahlung?
Schäffler: Ja, aber es geht nicht nur um Hierarchien wie Chefredaktionen. Es geht darum, wo man Fuß fassen kann, ob ein Medium gerade Budget hat – und oft ist man zur falschen Zeit am falschen Ort. Und dann gibt es kein Geld. Für andere Dinge aber schon. Viele sind ewig freie Journalist:innen. Für Frauen ist das oft besonders schwierig. Diversität ist ein großes Thema im Journalismus, und ich glaube, dazu hätte ich einiges zu sagen gehabt – gerade aus meiner Perspektive, die noch relativ neu in der Branche ist.
ExtraDienst: Abschließend: Wollen Sie langfristig bei der Wiener Zeitung bleiben oder gibt es andere Pläne?
Nora Schäffler: Ich bin seit Ende Februar fix angestellt, davor war ich im Traineeship. Ich konnte einiges ausprobieren und bin momentan sehr glücklich dort. Es gibt viele Möglichkeiten innerhalb des Hauses. Mein Ziel ist es, weiterhin Tabuthemen sichtbar zu machen, Stimmen Gehör zu verschaffen und Themen aufzugreifen, die Menschen bewegen. Dafür ist die Wiener Zeitung ein guter Platz.
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