Magazin-Chefin liest ORF-Kollegen die Leviten
Via Gastbeitrag im Standard lässt Lisa Totzauer keinen Zweifel daran, dass private Meinungen mit den Werten des ORF konform gehen müssen.

Der jüngste Skandal um ein antisemitisches Posting eines ORF-Redakteurs hat eine Grundsatzdebatte ausgelöst. In einem Gastkommentar für den Standard fordert TV-Magazin-Chefin Lisa Totzauer, den Vorfall nicht als isolierten Fehltritt abzutun. Für sie ist er ein Weckruf, den öffentlich-rechtlichen Auftrag neu zu begreifen.
Totzauer stellt klar: ORF-Journalist:innen tragen Verantwortung nicht nur in der Redaktion, sondern auch in ihrem Privatleben – insbesondere auf Social Media. Glaubwürdigkeit könne man nicht am Ende des Arbeitstages ablegen. Wer für den ORF arbeitet, repräsentiert dessen Werte rund um die Uhr.
Neue Regeln, alte Prinzipien
Die ORF-Führung habe bereits einen verschärften Ethikkodex beschlossen. Totzauer bindet diesen ausdrücklich an die jüngsten Ereignisse: Objektivität, Transparenz und die journalistischen Grundprinzipien – „Check, Recheck, Doublecheck“ – müssten konsequent gelten, auch jenseits offizieller Berichterstattung. Private Meinungsäußerungen dürfen diese Standards nicht unterlaufen.
Für Totzauer ist der Vorfall mehr als ein dienstrechtliches Problem. Er stehe sinnbildlich für die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus in Zeiten von Social Media. Der ORF dürfe sich nicht im „Krieg um Klicks“ verlieren, sondern müsse ein Gegenmodell zur Empörungsökonomie sein: nüchtern, faktenbasiert, vertrauenswürdig.
Kritische Fragen bleiben
So nachvollziehbar Totzauers Position im konkreten Fall wirkt – bei einem antisemitischen Posting ist die rote Linie offensichtlich –, so heikel wird sie, sobald man sie auf andere Themen überträgt. Von Russland-Debatten bis zur Corona-Politik: Wer hier „das falsche Wort“ sagt, läuft Gefahr, dass private Äußerungen als dienstrechtlich relevant eingestuft werden – der Ethikkodex sieht dafür ausdrücklich mögliche Konsequenzen bis zur Nichtverlängerung des Dienstverhältnisses vor. Genau hier beginnt der Graubereich zwischen legitimer Meinungsäußerung und der Pflicht, die ORF-Werte auch “off air” zu repräsentieren.
Totzauers Kommentar schärft die Verantwortung des Personals, im Privaten wie im Dienst die Werte des Hauses zu vertreten. Doch die Konsequenz dieser Logik führt zu einer unbequemen Frage: Geht es noch um Antisemitismus, oder schon darum, ob Redakteur:innen außerhalb des Studios jede Nuance ihrer Meinung mit der Blattlinie abgleichen müssen?
(red)