Lohnt es sich, Jetzt zu abonnieren?
Das neue Mitgliedermedium „Jetzt“ startete im Wiener Funkhaus – mit hohen Ansprüchen an sich selbst.
Um Punkt null Uhr eins war es so weit: Jetzt ging online. Was im Frühjahr noch als ambitionierte Idee kursierte, wurde in der Nacht auf Dienstag Realität. 5.878 Mitglieder zählt das neue Onlinemedium zum Start – knapp über der Schwelle, die Gründer Florian Novak im Mai als Voraussetzung für den Aufbau genannt hatte. Im vierten Stock des Wiener Funkhauses, dort wo einst FM4 sendete, sitzt nun eine zwölfköpfige Redaktion. Chefredakteurin Hatice Akyün spricht von einem „sicheren medialen Hafen“, Novak von einem „Gegengewicht zur Infoflut“.
Geboten werden täglich ein Morgenüberblick, ein Longread und ein Thema des Tages. Alle Inhalte gibt es zum Lesen und Hören, alle stammen von realen Menschen, nicht von Maschinen. Künstliche Intelligenz, betont Novak, sei „kein Thema“. Der Ton soll persönlich, aber journalistisch bleiben – erzählt, nicht vorgelesen.
Dänisches Modell
Technisch basiert Jetzt auf der Infrastruktur des dänischen Vorbilds Zetland, das mehr als 50.000 Mitglieder zählt und mit einem ähnlichen Mix aus Audio-Magazin, Community und Essay-Journalismus arbeitet. In Wien wurde das Prinzip fast eins zu eins übertragen: Mitglieder zahlen 17,90 Euro monatlich, können aber weniger oder mehr beitragen, je nach finanzieller Lage. Unterstützt wird das Projekt von der Stadt Wien und mehreren kleineren Gesellschaftern.
Der Start fällt in eine Zeit, in der der heimische Journalismus eher Personal abbaut als neue Redaktionen gründet. Allein das erklärt das mediale Interesse. Novak, der bereits zwei Radiosender führt, will beweisen, dass ein zahlendes Publikum auch ohne Verlag, Werbung oder Klicklogik funktioniert.
Der erste Testlauf
Wie dieser neue Journalismus klingt, zeigt der Eröffnungstext, den es quasi als Eröffnungsgeschenk gratis für alle gibt: „Lohnt es sich, Kinder zu kriegen?“ – eine persönliche, essayistische Annäherung des Autors Michalis Pantelouris. Der Text beginnt im eigenen Wohnzimmer, führt über Statistik Austria bis zur Sinnfrage des Lebens. Es ist kein Bericht, keine Analyse, sondern ein Blick in die vier Wände der eigenen Familie – mit ironischem Unterton.
Produziert wurde die Geschichte als Audio-Version mit eigener Sprecherin und Sounddesign. Damit zeigt Jetzt, wohin die Reise geht: hin zu erzähltem Journalismus, der Nähe erzeugt, ohne auf Effekt zu setzen. Die Redaktion setzt auf Tonlage statt Tempo, auf Haltung statt Nachrichtendichte.
Nähe als Programm
Der Einstieg über den eigenen Lebensbereich dürfte kein Zufall sein, sondern Teil der redaktionellen Erwartung. Das Format verlangt, dass Journalistinnen und Journalisten von sich erzählen – besonders um glaubwürdig zu klingen. Diese Intimität schafft Bindung, kann aber auch in Voyeurismus kippen. Der Hörer sitzt buchstäblich im Kopf des Redakteurs bzw. Autors.
Es ist ein Ansatz, der Aufmerksamkeit generiert, weil es unmittelbar funktioniert und Nähe erzeugt. Gleichzeitig stellt er eine redaktionelle Herausforderung dar: Je persönlicher die Geschichten, je öfter man sein Privatleben ausbreitet, desto schwieriger wird es, auch wieder Distanz zu schaffen. Zudem muss ein Modell, das auf Nähe beruht, ständig neue Stimmen finden, sonst verliert es seine Spannung.
Ökonomie der Erzählung
Der persönliche Zugang ist ähnlich fragil wie der ökonomische. Die Mitglieder sind Förderer – in einer Art Buchklub eingeschrieben. Ob in dieser Form das tagesaktuelle Geschehen schnell genug erarbeitet werden kann, wie es der Jetzt-Anspruch definiert, wird sich zeigen
Langfristig wird Jetzt zeigen müssen, ob sich aus dem Unterstützer-Netzwerk eine dauerhafte und vor allem wachsende Leserschaft entwickelt. Denn die klassischen Probleme digitaler Mitgliedermodelle sind bekannt: Anfangseuphorie, Selbstausbeutung, anschließende Stagnation, sinkende Qualität.
Die Gretchenfrage
So wie Pantelouris in seinem Essay fragt, ob sich Kinder lohnen, stellt sich dieselbe Frage nun für das Medium selbst. Lohnt es sich, Jetzt zu abonnieren? Die Antwort hängt weniger von Idealen als von den finanziellen Möglichkeiten ab. Warum man für ein weiteres Medien-Abo zahlen soll, hat bisher nur das Marketing beantwortet.
Zum Start ist neben dem Essay auch die Geschichte „Schmutziges Wasser – Teil 1“ von Christo Grozev, Eva Plank und Nikolai Atefie frei les- und hörbar.
Jetzt will zeigen, dass Innovation im Journalismus durch Mitglieder statt Werbekunden möglich ist. Ob sich das Format trägt, wird sich nicht zuletzt an der Fähigkeit entscheiden, Geschichten jenseits des eigenen Umfelds zu erzählen – und Themen aufzudecken, die gesellschaftlich Gewicht haben.
Der Anfang klingt vielversprechend. Doch wie bei jeder Premiere gilt: Entscheidend ist die gesamte Spielzeit.
(APA/red)