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Kuschen vor Regimen? – Pressefragen werden zum Politikum

Indiens Regierungschef erlaubt in USA erstmals Fragen bei Auslandsreise - Scholz muss sich für Chinas Nein zu Pressekonferenz rechtfertigen 
©unsplash

Der indische Ministerpräsident Narendra Modi könnte am Donnerstag in Washington für eine überraschende Premiere sorgen: Erstmals in seiner mittlerweile neunjährigen Amtszeit will er bei seinem Besuch im Weißen Haus zulassen, dass ihm Journalisten bei einer Auslandsreise Fragen stellen dürfen. Denn auch wenn Indien eine Demokratie ist: Bisher hatte Modi dies immer verweigert – zuletzt bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen in Berlin.

Das sorgte nicht nur bei Journalisten für Verärgerung, die in Demokratien gewohnt sind, dass sie gewählten Volksvertretern auch kritische Fragen stellen können. Jetzt heizt das plötzliche Zugeständnis des Hindu-Nationalisten an US-Journalisten auch die deutsche Debatte über den Umgang des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz mit dem neuen chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang am Dienstag an. Denn dieser hatte bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen ebenfalls darauf bestanden, dass bei dem gemeinsamen Auftritt keine Fragen gestellt werden dürfen.

Vergeblich habe man Li davon zu überzeugen versucht, dass dies in Deutschland unüblich und kein guter Weg sei, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Aber angesichts der Abwehrhaltung wäre die Alternative nur der komplette Verzicht auf einen gemeinsamen Auftritt gewesen. Also habe man als beste der schlechten Möglichkeiten entschieden, dass Scholz und Li lediglich ihre Statements vortragen. Dass die chinesische Delegation dann auch noch unüblicherweise im Kanzleramt applaudierte, machte die Situation noch ungewöhnlicher. “Ich bedauere das sehr”, sagte der Sprecher zu dem Wegfall der Fragemöglichkeit.

Der Vorgang kratzt nicht nur am Selbstverständnis der Journalisten. Die Debatte ist auch für den Kanzler nicht beendet: Oppositionsführer Friedrich Merz warf dem Kanzler am Donnerstag in der Debatte über die Regierungserklärung vor, vor dem kommunistischen Regime in Peking zu kuschen. “Sie weichen zurück hier in Berlin vor einer solchen Anmaßung der chinesischen Staatsführung”, kritisierte der CDU-Chef. Weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel hätten dies geduldet. Merkel hatte stets durchgesetzt, dass Journalisten Frage stellen konnten.

Das Problem für Scholz: Zum einen haben sich die Zeiten geändert. Machtbewusste Politiker aus Staaten mit Milliardenbevölkerungen wie China und Indien treten immer selbstbewusster auf. Li erweckte in Berlin mehrfach den Eindruck, dass er der eigentliche Gastgeber sei. Zum anderen gibt es den generellen Trend in Politik und Unternehmen, immer genauer planen zu wollen, welche Botschaft in der Öffentlichkeit gesetzt werden soll. Der Wunsch nach Kontrolle ist erheblich gewachsen. Da stören kritische, nicht abgestimmte Fragen nur. In China war es schon früher üblich, dass ausländische Journalisten vor einer Pressekonferenz schon einmal daran erinnert wurden, dass man bei der Frage doch bitte bedenken solle, dass der Sinn des Treffens doch sei, die guten Beziehungen zu pflegen – was wohl nur bei Staatsmedien in autoritären Staaten auf fruchtbaren Boden fiel.

In deutschen Regierungskreisen hieß es schon früher, dass es immer schwieriger werde, Politiker aus anderen Ländern zu einer Pressekonferenz zu bewegen. Schon unter Merkels Kanzlerschaft reisten Potentaten etwa aus den Golfstaaten an, ohne dass überhaupt ein Pressetermin angesetzt wurde. “Abgelehnte Fragen sind dabei nicht nur Zeichen von Stärke, sondern auch von Schwäche”, sagt ein EU-Diplomat. Etliche Politiker hätten schlicht Sorge, nicht clever auf kritische Fragen reagieren zu können. Möglicherweise galt dies auch für den international unerfahrenen Li.

Für Scholz kam am Dienstag ein Sonderproblem hinzu. Denn die Regierungskonsultationen waren angesichts der geopolitischen Spannungen auch in der Ampel durchaus umstritten. Der Kanzler hatte schon vorher gesagt, dass er eine Balance wahren wolle zwischen kritischen Bemerkungen zu Taiwan, Menschenrechten sowie zu einer großen Abhängigkeit – und dem Signal an den größten Handelspartner Deutschlands, dass Kontakte erwünscht sind. Ein Eklat hätte möglicherweise Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer kritischeren Haltung zu China nicht gestört – aber sehr wohl den Kanzler. Ohnehin vermitteln im Hintergrund etliche deutsche Dax-Konzerne und Mittelständler, dass sie mit einem zu kritischen Kurs der deutschen Regierung unzufrieden sind und dieser sich negativ auf die wirtschaftlichen Beziehungen auswirke.

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid findet die Empfehlung von Merz falsch, im Konfliktfall einfach eine Pressebegegnung abzusagen. “Ich will vor zu einfachen Konsequenzen warnen”, sagt Schmid zu Reuters. “Am Ende gibt es überhaupt keine Presseauftritte mehr, dann kann der Kanzler möglicherweise auch in China kritische Themen in einem Statement nicht mehr ansprechen.” In Berlin waren dies etwa die Arbeitsbedingungen deutscher Journalisten, Menschenrechte und Sanktionen gegen deutsche Thinktanks gewesen. Unter den gegebenen Umständen sei der gewählte Weg das kleinste Übel gewesen, meint Schmid daher.

APA/Red.

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