Der Fall Sereda aus Sicht des Guardian
Die britische Filmjournalistin Catherine Shoard analysiert im Guardian, was hinter dem Kurier-Interview steckt.

Was passiert, wenn ein Interview mit Clint Eastwood weltweit Schlagzeilen macht – obwohl es offenbar nie stattgefunden hat? Der britische Guardian nimmt diesen bizarren Fall aus Österreich zum Anlass, um die Mechanismen des Filmjournalismus zu hinterfragen. ExtraDienst dokumentiert diesen Text aus aktuellem Anlass und einem einzigen Grund: weil er einen selten scharfen Blick von außen auf ein System gewährt, das auch unsere Branche betrifft: Wie entstehen Interviews? Welche Rolle spielen PR-Agenturen, Festivals, Zugangsprivilegien?
Nachstehende Analyse mit ironischen Zügen stammt von Catherine Shoard, der langjährigen Filmredakteurin des Guardian. Wir präsentieren Auszüge ihrer Recherche in deutscher Übersetzung – als Impuls zur Selbstreflexion.
Das Gute, das Schlechte und das Hässliche: Clint Eastwoods Interview-Debakel offenbart düstere Wahrheiten über den Filmjournalismus
Von Catherine Shoard, The Guardian, 4. Juni 2025
Es überrascht nicht, dass das angebliche Interview der österreichischen Zeitung Kurier mit Clint Eastwood am Wochenende viral ging. Ein Gespräch mit der 95-jährigen Filmlegende, in dem er scharfe Worte über den aktuellen Zustand des Kinos äußert, war prädestiniert dafür, große Aufmerksamkeit zu erregen – besonders in der sauren Gurkenzeit der Branche: der dünnen Phase nach Cannes und vor dem eigentlichen Sommer, in der der Hype um Mission: Impossible schnell abflaut und Lilo & Stitch die Kinokassen dominiert – ein Erfolg, aus dem sich nur begrenzt Geschichten spinnen lassen.
Weitere Belege für diese inhaltliche Dürre liefern ein schneller Blick auf die Nachrichten der letzten Woche in einigen Fachmagazinen – Variety, Hollywood Reporter, Deadline, Screen International –, die unabhängig vom tatsächlichen Material kontinuierlich produzieren müssen. Dazu gehören ein Bericht über ein Interview, in dem Michael Cera sagt, er glaube nicht, dass Jackie Chan wusste, wer er war, als sie sich das erste Mal trafen, Renée Zellweger, die enthüllt, dass sie beim Dreh des im Februar veröffentlichten Bridget Jones-Films eine Träne vergoss, und – ein exklusiver Bericht – dass Bill Murray auf einem Filmfestival in Kroatien auftreten wird. Vor diesem Hintergrund ist Eastwoods Aufforderung an jüngere Regisseure, sich zusammenzureißen, im Grunde ein Skandal von Watergate-Ausmaßen.
Doch die Wellen, die das Interview schlug, scheinen die veröffentlichende Zeitung überrascht zu haben. Und in gewisser Weise ist auch das keine Überraschung, denn ein Großteil des Apparats des Filmjournalismus bleibt seltsam in einer vor-internetlichen Ära verhaftet, in der Google Translate nicht existiert und 18 Sets von Roundtable-Interviews, die über mindestens ein Jahrzehnt geführt wurden, durchaus einen neuen Artikel ergeben können.
Was die Zeitung bedauert, so ihre Stellungnahme, ist die Darstellung des Artikels als „Interview“ statt als „Geburtstagsprofil“, was impliziert, dass die Autorin, Elisabeth Sereda, ihren Zugang falsch verkauft hat – weshalb man künftig nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten werde.
Wenn das stimmt, wirft es weitere Fragen auf. Interviews dieser Art beinhalten in der Regel einen erheblichen Austausch (etwa 150 E-Mails) zwischen einem beauftragenden Redakteur, der Autorin, Bildredakteuren, Film- und persönlichen Publicists und mehr. Selbst wenn keiner dieser Schritte stattgefunden hat, bleibt es besorgniserregend, dass die Zeitung nie bestätigt hat, wann, wo oder wie Sereda mit einem so bedeutenden, zurückhaltenden – und betagten – Star gesprochen hat. (…)
An dieser Stelle endet der übersetzte Auszug. Im Original führt Catherine Shoard ihre Analyse noch weiter aus. Nachfolgend fassen wir zentrale Aussagen zusammen.
Schlüsselaussagen aus Shoards Analyse
- Die Autorin beschreibt, wie Teile des Filmjournalismus weiterhin von Roundtable-Gesprächen leben, bei denen Journalist:innen aus aller Welt in kurzen, meist unergiebigen Pressegesprächen mit Stars sitzen – Zitatmaterial, das oft Monate später in „Einzelinterviews“ recycelt werde.
- Shoard kritisiert den anhaltenden Einfluss der aufgelösten Hollywood Foreign Press Association, deren Mitglied Elisabeth Sereda gewesen sei – eine Organisation, die wegen Intransparenz, Käuflichkeit und mangelnder Diversität in Misskredit geraten war.
- Sie beobachtet, dass viele Filmjournalist:innen auf Nähe, Zugang und das Wohlwollen von Publicists angewiesen sind. Dabei verschwimmen oft die Grenzen zwischen PR und Journalismus. Selbstgefällige Selfies mit Stars und bewundernde Social-Media-Postings seien in dieser Szene gängige Praxis.
- Shoard betont, dass große Publikationen wie der Guardian den Zugang zu Prominenten auch ohne Roundtables erhalten – und solche Formate aus Prinzip vermeiden würden. Für viele kleinere Medien sei dieser Zugang jedoch überlebenswichtig, was eine „Massenproduktion“ bedinge, bei der der Wahrheitsgehalt oft auf der Strecke bleibe.
Den vollständigen Artikel in englischer Sprache finden Sie auf der Website des Guardian:
The good, the bad and the ugly – The Guardian, 4. Juni 2025