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Milborn bangt um die Unabhängigkeit von Puls 4

Nach dem Ausscheiden von Markus Breitenecker aus dem ProSiebenSat.1-Vorstand läuten die Alarmglocken.

22.10.2025 10:34
Redaktion
© ProSiebenSat.1Puls4
Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Corinna Milborn ist Info-Chefin von PULS 4 und Moderatorin.

Der neue Mehrheitseigentümer MFE – Media for Europe – zieht die Führung beim deutschen Mutterkonzern ProSiebenSat.1 grundlegend um. Seit der Übernahme von mehr als 75 Prozent der Anteile kontrolliert Pier Silvio Berlusconi den zweitgrößten privaten Fernsehkonzern Europas nun direkt. Marco Giordani, bisher Finanzchef von MFE, übernimmt als neuer CEO die Konzernleitung. Bert Habets scheidet aus, bleibt bis Jahresende beratend tätig. Den Finanzbereich verantwortet vorübergehend Bob Rajan, der auf Martin Mildner folgt.

Markus Breitenecker, seit 2024 Chief Operating Officer von ProSiebenSat.1, ist mit sofortiger Wirkung ausgeschieden. Seine Funktion wird nicht nachbesetzt – ein klares Signal für die strategische Neuordnung. In Österreich rückt damit die Rolle von Corinna Milborn, Informationsdirektorin von Puls 4, neu ins Zentrum: Sie leitet jene Redaktionen, die Breiteneckers Handschrift am stärksten tragen.

Österreich-Tochter unter Druck

Für die österreichische Sendergruppe mit Puls 4, ATV und Puls 24 bedeutet der Rückzug ihres langjährigen Architekten einen Einschnitt. Breitenecker hatte das Privatfernsehen hierzulande seit den späten 1990er-Jahren geprägt – vom Aufbau von Puls 4 über die Übernahme von ATV bis zur Gründung des Nachrichtensenders Puls 24 und der Digitalplattform Joyn. Mit ihm verliert die SevenOne-Gruppe ihren maßgeblichen Vertreter im Konzernvorstand.

Doch die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Laut aktuellen Zahlen liegt der Marktanteil von Puls 4 hinter ServusTV, die Werbeerträge sind rückläufig. Das Streaming-Projekt Joyn gilt im deutschen Kernmarkt als defizitär – ein Grund, weshalb MFE auf Kostendisziplin setzt und einen Neustart fordert. Insider rechnen mit einem harten Sparprogramm für die österreichische Tochter.

Milborn betont redaktionelle Unabhängigkeit

In einer gemeinsamen Erklärung der Redaktionen von ATV, Puls 4 und Puls 24 unterstreicht Informationsdirektorin Corinna Milborn die Unabhängigkeit der österreichischen Informationsredaktionen. Wörtlich heißt es, die Konzernzentrale habe „unter den verschiedensten Eigentümern noch nie den geringsten Versuch gemacht, Einfluss auf die Redaktion zu nehmen – und wir hätten das auch nicht zugelassen“. Auch der neue CEO habe bekräftigt, dass lokale Inhalte und Nachrichten an erster Stelle stehen werden.

Die Aussagen sind eindeutig, doch die Tonlage wirkt defensiv. Milborn bedankt sich ausführlich bei Breitenecker für 30 Jahre gemeinsame Arbeit und betont den Anspruch, „unabhängigen, kritischen Qualitätsjournalismus in dieser neuen Konstellation weiterzuführen und auszubauen“.

Eine Weggemeinschaft und ihr Scheitern

Milborn und Breitenecker eint mehr als ein beruflicher Werdegang. 2018 veröffentlichten sie gemeinsam das Buch „Change the Game“ – ein Plädoyer für digitale Souveränität und den Aufbau europäischer Medienplattformen jenseits der US-Konzerne. Sie forderten, Europa müsse „das Netz von Facebook und Google zurückerobern“ und öffentlich-rechtliche Aufgaben mit einem neuen Qualitätsanspruch verbinden. Sie schrieben über Kooperation statt Konkurrenz, über Haltung und Verantwortung.

Sieben Jahre später klingt diese Vision wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Das eigene Medienhaus steht heute selbst unter dem Druck internationaler Eigentümerstrukturen, die genau jene Abhängigkeiten schaffen, vor denen Milborn und Breitenecker damals warnten. Was als programmatisches Manifest begann, ist zur Ironie der Gegenwart geworden – und für Puls 4 & Co. zur offenen Frage: Wie viel Unabhängigkeit lässt sich beanspruchen, wenn Output und Relevanz so niedrig angesetzt sind?

(OTS/red)

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