ORF reagiert zart besaitet auf Kritik
Einer Recherche der "OÖ Nachrichten" wird von Seiten des ORF wenig Glaubwürdigkeit geschenkt.

Die Debatte rund um den öffentlich-rechtlichen Onlineauftritt ORF.at ist erneut entflammt – diesmal mit bemerkenswertem Unterton. Anlass ist eine Recherche der Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN), die dem ORF eine deutliche Überschreitung der gesetzlich limitierten Beitragszahl unterstellen. Der ORF wiederum reagiert in einem Online-Artikel auf der “blauen Seite” ungewöhnlich harsch – von einem “unterstellten Bruch des ORF-Gesetzes”, der “auf das Schärfste zurückgewiesen” werde, ist die Rede. Man verwahre sich gegen “gezielte Desinformation” und vermisse eine Anfrage der Kollegen vor Veröffentlichung.
Der Vorwurf: Zwischen dem 18. und 25. März habe ORF.at 522 Textbeiträge veröffentlicht – deutlich mehr als die seit 1. Jänner 2024 erlaubten 350 pro Woche. Der ORF dagegen zählt lediglich 320 und sieht sich damit “deutlich unter der gesetzlich vorgegebenen Maximalanzahl”.
KommAustria soll klären
Während der öffentlich-rechtliche Sender auf seinen Jahresbericht verweist und betont, alle Vorgaben des reformierten ORF-Gesetzes “lückenlos” umgesetzt zu haben, bleiben die OÖN bei ihrer Zählung. Auch die durchschnittliche Textlänge sei gewachsen, so die Kritik. Der ORF hält dagegen: Im Vergleich zu 2023 sei das Angebot “massiv reduziert” worden. Verlinkungen oder Aktualisierungen seien, so beide Seiten übereinstimmend, nicht in die jeweiligen Zählungen eingeflossen.
Weil die Faktenlage so unklar wie umstritten ist, verweisen sowohl der ORF als auch Medienminister Andreas Babler (SPÖ) auf die zuständige Medienbehörde KommAustria. Diese kann allerdings erst tätig werden, wenn eine formale Beschwerde oder eine Sachverhaltsdarstellung vorliegt.
Reizthema “blaue Seite”
Dass es überhaupt zu einem derart konfrontativen Ton kommt, ist ungewöhnlich. Auslöser dafür könnten Wortspenden von Politikern sein, die nur allzu gerne Salz in offene Wunden streuen. Etwa von ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger, der von einem “klaren Foul” im Wettbewerb spricht oder Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter, die einen “klaren Gesetzesbruch” ortet. Dass sie die Recherche der Zeitung ungeprüft als glaubwürdig einstuften, zeigt auf, wie bereitwillig Kritik am ORF vorgebracht wird, wenn es ins Konzept passt.
Trotzdem hätte man vom ORF eher eine sachliche Erwiderung erwartet. Stattdessen zeigt man sich “befremdet” über die Vorgehensweise der OÖN und spricht offen von “Unwahrheiten”.
Der Konflikt reiht sich ein in eine langjährige Auseinandersetzung zwischen Verlagen und dem ORF um die sogenannte “blaue Seite”, also den klassischen ORF.at-Newsbereich. Die aktuelle Gesetzeslage – beschlossen 2023 von ÖVP und Grünen – schreibt neben der Obergrenze für Textbeiträge auch einen Anteil von mindestens 70 Prozent an Audio- und Videoinhalten vor. Damit soll verhindert werden, dass ORF.at als gratis zugängliches Nachrichtenportal den Markt für Digitalabos und Paywalls konterkariert.
Doch der Streitpunkt bleibt: Was zählt als „Textmeldung“ – und welche Beiträge können auf Subdomains wie science.ORF.at oder topos.ORF.at ausgelagert und so aus der Limitierung ausgeklammert werden? Genau hier ortet der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) eine „Mogelpackung“, da durch diese Konstruktion letztlich doch mehr Textbeiträge möglich seien als gesetzlich vorgesehen.
Wie viel Transparenz bringt der Jahresbericht?
Der ORF sieht in seinem am 31. März veröffentlichten Jahresbericht einen Beleg für regelkonformes Verhalten. Die Struktur von ORF.at sei für alle öffentlich einsehbar, die Zählweise nachvollziehbar. Kritik an fehlender Transparenz weist man zurück.
Ob die KommAustria den Vorwürfen nachgeht, bleibt abzuwarten. Dass jedoch die Tonlage zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatwirtschaftlichem Mediensektor rauer wird, ist unübersehbar.
(red)