Meldung in eigener Sache
Ansichten und Einsichten aus persönlicher Sicht zum Drama von Graz.

Aus gegebenem Anlass
(mein tiefes Beileid den Grazer Opfern)
Der Schüler Gerber.
Es war der tragische Roman meiner Schulzeit.
Das Buch von Friedrich Torberg hab ich in den verhassten Mittelschuljahren mehrmals förmlich verschlungen. Zu ähnlich erschien ich mir dem suiziden Hauptdarsteller.
Als Kleinster und Jüngster in der Klasse wurde ich gemobbt.
Als Kind aus einer armen Familie war ich vom Partyleben der Grinzinger jeunesse dorée von vornherein ausgeschlossen.
Mit meiner speckigen Lederhose, den vom Vater vorgetragenen Leiberln und den braunen Sandalen
galt ich nicht gerade als gesellschaftsfähig und schick.
Wir – die vier Prügelknaben in der vierten Klasse – hielten ganz gut zusammen.
In der Hackordnung waren wir – das war uns glasklar – ganz unten im Klassenranking angesiedelt.
Und dann der Schulausflug.
Im Bus wurden Zetteln herumgereicht, wer wem wie viele Sympathiepunkte gab.
Als mein bester Freund mir null Punkte gab, war’s aus mit meiner Widerstandskraft.
Was ich am Spätnachmittag dieses dunklen Tages
mir selber antun wollte, habe ich schon lange verdrängt.
Es kam anders.
Die Eltern haben’s nie mitgekriegt.
Aber die haben nie irgendwas mitgekriegt.
Der Effekt für mich: Die Haut wurde dicker.
Du stellst dich mit seelischem Schmerz gut.
Den Schüler Gerber hab ich weggelegt.
So schwach wie der bin ich nicht.
Das schwor ich mir.
Doch es kam alles anders.
Ich wechselte die Schule.
Fiel in der Siebenten durch.
War plötzlich bei den Älteren.
Hatte eine Freundin.
Spielte Gitarre.
Wurde ein Langhaariger und somit anerkannter Hippie.
Matura, Firma, Erfolg ohne Ende.
Es ging immer weiter aufwärts.
Und wenn’s irgendwo einen Knick gab –
ich verstand es, Rückschläge zu verarbeiten, zu handeln, zu verkraften …
Suizide habe ich mehrfach aus nächster Nähe mitgekriegt.
Ein Mitschüler im Mescalinrausch.
Ein naher Verwandter einer mir damals nahestehenden Person.
Schwul.
Homophober Vater.
Hat sich vor den Zug geworfen.
Schrecklich.
Am schlimmsten dabei:
Mir, dem „Stärksten“ rundum, fiel die Aufgabe der Identifikation zu.
Ich träum gelegentlich noch heute, Jahrzehnte danach, davon.
Ich musste mehrere Teile identifizieren.
Aus all dem habe ich gelernt
und lasse mich nicht davon abbringen,
dass Selbstmörder letztendlich
immense Feiglinge sind.
Exzessive Egoisten, die sich einfach so wegschleichen.
Ohne Gedanken darauf zu verschwenden,
was sie jenen, die sie schätzen und lieben, mit ihrer irren Tat antun.
Sorry für diese drastische und klare Ansage.
Sie hat sich in jedem Fall, mit dem ich näher konfrontiert war, bestätigt.
Und es gab noch weitere Fälle …
Nun ist Mobbing ein Verbrechen.
Die Seele ein weites Feld.
Verzweiflung schlägt in Wut um.
Hass entsteht.
Der Betroffene glaubt:
Nur Rache kann das Feuer löschen.
Was für ein fataler Trugschluss!!!!
Ein Teufelskreis entsteht.
Und irgendwann bricht alles heraus.
Ich habe – siehe oben – nicht viel Verständnis für
Suizid.
Es sei denn, krankheitsbedingte Gründe lösen das aus.
Aber Selbstmord mag man vielleicht noch erklären können.
Wiewohl ich selber meine Entscheidung – fest und für immer – getroffen habe,
mich dem Leben mit all seinen Widerwärtigkeiten
und wohl auch unmenschlichen Mitmenschen
oder Ungerechtigkeiten,
die bekanntlich Knall auf Fall entstehen können, zu stellen.
Dagegen zu halten, wenn irgendwer glaubt(e),
irgendein Scheißrecht zu haben,
sich an meinen menschlichen Unzulänglichkeiten,
Fehlern, Schwächen oder Minderwertigkeiten
mit seiner Bösartigkeit weiden zu dürfen …
An mir perlt das ab.
Gerechtigkeit ist – das weiß ich heute – ein Selbstläufer.
Du brauchst gar nichts zu tun.
Sitze nur am Fluss und warte geduldig.
Alles regelt sich letztendlich von selbst.
Manchmal dauert’s halt etwas länger …
Doch dass der Hass so weit gehen kann,
andere – völlig Unschuldige – umzubringen?
Junge Menschen und einen Lehrer zu erschießen,
nur weil man selber gelitten hat …?
Menschen (der Täter war 21), die ja wohl – weil jünger als er –
den in seiner Altersgruppe, wie ich schließe,
ja gar nicht direkt „gemobbt“ haben können …
Aber selbst wenn?
So what?
Da hört’s dann auf.
Da komm ich nicht mehr mit.
Da fehlen auch mir die Worte …
(CWM)