Macron im Kampf gegen Fake News unter Druck
Frankreichs Präsident verschärft die Frage, wer künftig Wahrheit definiert und wer darüber wacht.
Die Auseinandersetzung Frankreichs mit Falschinformationen rund um Emmanuel Macron erreicht einen neuen Höhepunkt. Er ist seit Jahren Ziel immer neuer Gerüchte – von vermeintlichem Kokain im Nachtzug bis zu Spekulationen über das Geschlecht seiner Ehefrau. Viele dieser Erzählungen gelten als widerlegt, jedoch keineswegs endgültig. Gerade diese Grauzone verleiht dem Thema politische Sprengkraft: Der Präsident will Falschmeldungen bekämpfen – doch die Anlässe und Werkzeuge dafür wecken Besorgnis.
Selbstkontrolle oder Regulierung?
Macron greift eine Idee auf, die in Frankreich seit Jahren kursiert: Medien sollen sich künftig an einem professionellen Standard orientieren, der transparent macht, wie redaktionell gearbeitet wird. Nicht die Regierung, so betont er, solle Medien klassifizieren, sondern „Experten“.
Denn wer diese Experten bestimmt, welche Kriterien sie anwenden und wie unabhängig sie tatsächlich sind, bleibt offen. Die Debatte dreht sich weniger um den guten Willen des Präsidenten, sondern um die strukturelle Logik: Jede Form von Bewertung schafft automatisch ein Machtzentrum – und damit die Möglichkeit, Informationsflüsse zu steuern.
Zertifikate und Deutungshoheit
In Frankreich existiert bereits ein System, das Medien nach Transparenz und Arbeitsweisen klassifiziert. Mehrere internationale Player beteiligen sich daran, darunter auch öffentlich finanzierte Medienhäuser und globale Nachrichtenorganisationen. Dass diese Einrichtungen naturgemäß eine eigene Machtstellung in der Sicherung medialer Deutungshoheit haben, versteht sich von selbst.
Der Gedanke, die Medienwelt mit Qualitätslabeln ordnen zu können, wirkt auf den ersten Blick pragmatisch – und wird auch hierzulande aufmerksam beobachtet. Doch dabei könnte ein viel zu mächtiger Gatekeeper entstehen. Wer das Label „Qualität“ nicht erhält, wird sich schwer behaupten können. Man wird automatisch als “unglaubwürdig”, “unrelevant” oder “alternativ” eingestuft und in eine defensive Position gedrängt. Genau dieses Spannungsverhältnis wird in Frankreich heftig diskutiert, auch innerhalb der Branche.
Kampf gegen Desinformation
Macron betont, ein „Wahrheitsministerium“ sei ausgeschlossen – der Staat dürfe nicht bestimmen, was gültig ist und was nicht. Doch während er diese Linie rhetorisch einzäunt, bleiben Zweifel bestehen. Kritiker sprechen von Zensurphantasien, andere sehen den Präsidenten auf dem Weg zu einer französischen „Prawda“.
Hier zeigt sich ein Grundproblem: Wer Desinformation bekämpft, ist schnell dem Vorwurf ausgesetzt, selbst die Wahrheit zu kontrollieren. Und gleichzeitig wird verlangt, sich gegen Falschmeldungen oder gegen Hass im Netz zu wehren. Zwischen beiden Polen – freier Meinungsäußerung und faktischer Berichterstattung – liegt ein schmaler Grat, auf dem Frankreich derzeit balanciert.
Wer beaufsichtigt die Aufseher?
Selbstregulierung klingt nach Freiheit. Doch sobald sie institutionalisiert wird, ist sie von politischer Macht kaum zu trennen. Der französische Philosoph Pierre-Henri Tavoillot bringt es auf den Punkt: Wer überwacht jene, die darüber entscheiden, welche Informationen vertrauenswürdig sind?
Diese Frage wird Macron ebenfalls treffen, wenn er demnächst ein juristisches Schnellverfahren einführt, mit dem Falschinformationen im Netz rascher entfernt werden sollen. Effizienz steht gegen Freiheitsrechte – und noch ist unklar, wie ausgewogen dieses neue Instrument gestaltet wird.
Zwischen Kontrolle und Kontrollfurcht
Nicht nur Frankreich steht damit vor einem Grundsatzkonflikt: Die demokratische Gesellschaft verlangt Schutz vor Manipulation, aber derselbe Schutz kann leicht zum Instrument der Macht werden. Wer Wahrheit definieren will – selbst in guter Absicht –, muss damit rechnen, dass dieser Mechanismus eines Tages von jemand anderem genutzt wird.
(red)
