Filmförderung: Zwischen Rekorden und Rückschritten
Die Förderpolitik im Filmsektor steht still – dabei geht es längst um mehr als nur Drehtage. Eine Bestandsaufnahme.

2024 war ein Rekordjahr. Mit 3.200 Drehtagen vermeldete die Vienna Film Commission einen neuen Höchstwert. Internationale Produktionen wie The Regime (HBO) oder The Fountain of Youth mit Natalie Portman ließen Wien einmal mehr als cineastischen Sehnsuchtsort erscheinen. Kulisse, Infrastruktur, Know-how: alles vorhanden. Doch hinter der Erfolgsmeldung brodelt es.
Denn mit Anfang 2025 kam es für den Filmstandort Wien zu einer ernüchternden Wende: Zwei zentrale Bundesförderungen – FISAplus und ÖFIplus – sind seit Monaten eingefroren. Keine Anträge möglich, keine Planungssicherheit, keine Perspektive. „Wir sind wieder ein schwarzer Fleck auf der Landkarte“, bringt es Marijana Stoisits, Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, im Gespräch mit ExtraDienst auf den Punkt. Produktionen wie Hunger Games oder White Lotus wanderten kurzerhand ab.
Förderstopp mit Nebenwirkungen
Für eine Branche, die auf langfristige Produktionszyklen angewiesen ist, bedeutet der Stillstand: Standortnachteile. Während Städte wie Prag, Budapest oder Vilnius weiterhin aktiv Anreize schaffen, verliert Österreich nicht nur potenzielle Drehs – sondern auch Vertrauen. Und das trifft nicht nur die Hochglanzformate, sondern vor allem jene, die jeden Euro weitergeben: Kamerateams, Beleuchter:innen, Setdesigner:innen, Tonleute, Maskenbildner:innen, Fahrer:innen – also alle, für die Drehtage gleichbedeutend mit Einkommen sind.
Doch die wirtschaftliche Kette reicht weiter: Caterer, Technikverleiher, Locationbesitzer, Hotels, Sicherheitsdienste, Transportfirmen, Requisitenbauer, Postproduktionsstudios – sie alle profitieren nur dann, wenn tatsächlich gedreht wird. Bleiben die Produktionen aus, trifft es nicht nur die Kreativen – sondern einen ganzen Branchenverbund, der längst über den Kulturbereich hinausreicht. Wien als Zentrum der österreichischen Filmwirtschaft droht dabei seine Position zu verlieren.
Werbung als Wachstumsmotor
Obwohl sie wirtschaftlich stark wirkt, fällt die Werbefilmproduktion durch das Raster klassischer Filmförderung. Sie gilt nicht als künstlerisches Format und ist auch nicht in den Richtlinien der automatischen Förderung berücksichtigt – obwohl die lokale Wertschöpfung sehr hoch sein kann. Dennoch macht sie einen nicht unerheblichen Teil des tatsächlichen Produktionsvolumens in Wien aus, wie Stoisits anmerkt: „In nur ein bis zwei Drehtagen werden da mitunter 200.000 Euro umgesetzt“, sagt sie.
Der Anteil der Werbung am Filmgeschehen in Wien ist hoch – und er wächst. Sie ist eng verzahnt mit der Kommunikationsbranche, mit Agenturen, Postproduktionsstudios, Tonmeistern, Filmschaffenden, dem neuen HQ7-Studio oder spezialisierten Dienstleistern aus dem Werbebereich. Genau hier entstehen Jobs – nachhaltig, konkret, lokal.
Standortpolitik mit Schlagseite
Weltweit haben Filmproduzenten längst verstanden, dass Drehorte nicht nur Kulisse, sondern Marke sein können. Sichtbarkeit im Film ist Werbung – und hat ihren Preis. Viele Regionen beteiligen sich längst proaktiv daran, bereits in der Konzeptionsphase dabei zu sein. In Österreich dagegen droht eine Form der Abschottung.
Die Vienna Film Commission bemüht sich, diesen Rückstand aufzufangen. Sie bietet Service, persönliche Betreuung, Kontakte, Know-how. „Bei internationalen Produktionen ist das Vertrauen in den Drehort entscheidend – wir sind oft die erste Adresse, bevor überhaupt jemand an eine Förderung denkt“, sagt Stoisits. Aber: „Wenn man dann keine klaren Aussagen treffen kann, weil es keine Richtlinien gibt und kein Startdatum genannt wird, verlieren wir Projekte, bevor wir überhaupt einsteigen konnten.“
Was nützt der beste Service, wenn die Förderlogik dahinter ins Leere greift? Wenn Entscheidungen zu spät kommen, Richtlinien vage bleiben – oder, wie aktuell, schlicht kein Geld fließt?

Rund 90 Prozent aller Produktionsfirmen sitzen im Großraum Wien. „Wenn wir die nicht halten können, bleibt vom Filmwirtschaftsstandort nicht viel übrig“, sagt Stoisits. Planungssicherheit sei der Schlüssel: „Es bringt nichts, eine Förderung anzukündigen, ohne ein Datum zu nennen. So verliert man Vertrauen – und mit dem Vertrauen auch Projekte.“
Was die Politik jetzt liefern muss
Im Zentrum der aktuellen Blockade steht nicht primär ein Mangel an Fördermitteln, sondern ein Mangel an politischer Verbindlichkeit. Die Branche hat verstanden, dass es ÖFIplus in diesem und im kommenden Jahr wohl nicht mehr geben wird. FISAplus soll hingegen weiterhin bestehen – umso nachvollziehbarer ist die Forderung nach einem konkreten und verlässlichen Datum für die Wiederöffnung des Antragsportals.
Die Debatte ist nicht neu, aber drängender denn je. Filmförderung muss dort ankommen, wo reale Jobs entstehen: bei österreichischem Personal, bei lokal tätigen Produzent:innen, bei Handwerk, Technik, Logistik, Postproduktion.
Interview mit Marijana Stoisits
ExtraDienst sprach mit Marijana Stoisits, Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, über das fragil gewordene Fundament der Filmförderung, fehlende Signale aus der Politik – und die unterschätzte Rolle der Werbewirtschaft.
ED: Frau Stoisits, 2024 war ein Rekordjahr – 3.200 Drehtage, ein Plus gegenüber dem Vorjahr. Ist das ein struktureller Fortschritt oder eine Momentaufnahme?
Stoisits: Eine Momentaufnahme, die eine Spitze darstellt, die – so wie es aussieht – leider nicht halten wird. Die erste Jahreshälfte war sehr stark, weil viele Produktionen noch aus dem Fördertopf des Vorjahres bedient wurden.
ED: Warum?
Stoisits: Seit 1. Jänner gibt es keine Möglichkeit mehr, Anträge für die zwei zentralen Bundesincentives – FISAplus und ÖFIplus – zu stellen. Und das ist keine vorübergehende Verzögerung, sondern eine prolongierte Misere mit unbekanntem Enddatum.
ED: Und das wird auch so kommuniziert?
Stoisits: Ja. ÖFIplus scheint für’s erste Geschichte zu sein und bei FISAplus arbeitet man seit vergangenen Herbst an neuen Richtlinien, von denen es heißt, dass sie nach wiederholter Ankündigung nun irgendwann im Herbst veröffentlicht werden sollen. Es kann und darf aber nicht bloßen Ankündigungen bleiben. Wer jetzt plant, dreht nächstes Jahr. Und wer nächstes Jahr drehen will, trifft heute Entscheidungen.
ED: Und diese Entscheidungen werden derzeit nicht in Wien getroffen?
Stoisits: Es scheint so. Produktionen wie Hunger Games waren sehr konkret im Gespräch, aber ohne klare Förderstruktur. verlieren wir diese Projekte, bevor wir überhaut aktiv werden können.
ED: Als Außenstehender könnte man meinen: Da gibt es Stadtförderung, Bundesförderung, Incentives – warum kann man das nicht bündeln? Wer ist der zentrale Ansprechpartner?
Stoisits: Den gibt es nicht. Es sind verschiedene Töpfe auf verschiedenen Ebenen. Wir als Vienna Film Commission sind für alles zuständig, was Wien betrifft – Drehgenehmigungen, Locations, Behördenkontakte. Wir helfen auch mit Überblick über die Förderlandschaft. Aber wir vergeben kein Geld.
ED: Das heißt, Sie sind erster Kontaktpunkt – und begleiten den Prozess, so gut es geht?
Stoisits: Ja. Und da zeigt sich, wie wichtig die persönlichen Beziehungen sind. Wir begleiten Scouting-Touren, organisieren Infrastruktur, beantworten technische Fragen. Aber es ist frustrierend, wenn man mit hochkarätigen Teams unterwegs ist, die sich für Wien begeistern – und dann abspringen, weil es keine Planungssicherheit gibt.
ED: Was könnte ein konkretes Signal sein?
Stoisits: Ein verlässliches Datum! Selbst wenn es der 1.1.2026 wäre – Hauptsache, es ist fix. Alles ist besser als dieses Schweben im luftleeren Raum. Denn in dem Moment, wo ein Projekt woanders bewilligt wird, ist der Zug abgefahren.
ED: Blicken wir auf den Filmfonds Wien – da scheint das System stabiler.
Stoisits: Ja, aber der ist ganz anders aufgesetzt und eine selektive Förderung – mit Jury, mit Fokus auf künstlerische Qualität. Und es richtet sich in der Regel an österreichische Produktionen oder Ko-Produktionen mit starkem Inlandsanteil. Für internationale Großproduktionen ist das keine Alternative zu FISAplus.
ExtraDienst: Und das Vienna Film Incentive?
Stoisits: Die perfekte Ergänzung! Eine automatische Förderung, die bewusst filmtouristisch ausgerichtet ist: es unterstützt ausschließlich Projekt, bei denen Wien als Wien sichtbar wird. Das Vienna Film Incentive und der Film Fonds Wien können aber nicht den Ausfall von Wirtschafts-Incentives des Bundes kompensieren.
ExtraDienst: In Österreich wird gerne auf den Kunstaspekt verwiesen. Fördergelder sollen nicht „nur Werbung“ finanzieren. Ist das eine realistische Trennlinie?
Stoisits: Nein. Jeder Dreh ist beides: Kunst und Wirtschaft. Und Sichtbarkeit ist kein Nebeneffekt, sondern Standortpolitik. Es gibt Länder, da wird schon beim Drehbuch aktiv gesteuert, wie sich Regionen im Film wiederfinden. Bei uns wird oft so getan, als sei touristische Wirkung ein zufälliges Nebenprodukt. Das ist strategisch naiv.
ExtraDienst: Ein unterschätzter Bereich ist die Werbung. Was bringt sie dem Standort?
Stoisits: Sehr viel. In nur ein bis zwei Drehtagen kann eine Werbeproduktion mehrere Hundertausend Euro umsetzen – konkret, lokal, steuerwirksam. Und sie beschäftigt viele unserer Leute: Filmschaffende, Technik, Ausstattung, das neue HQ7 Studio oder Postproduktionsfirmen. Aber in vielen Förderprogrammen kommt dieser Bereich gar nicht vor. Obwohl er hochprofessionell, international vernetzt und wirtschaftlich enorm relevant ist.
ED: Was müsste jetzt passieren?
Stoisits: Ein Bekenntnis. Und eine klare Linie: Förderinstrumente gehören entbürokratisiert, abgestimmt, abgesichert. Sonst droht Wien als Zentrum der österreichischen Filmwirtschaft nicht nur im internationalen Vergleich zurückzufallen – wir verlieren auch das Vertrauen jener, die hier seit Jahren arbeiten.
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