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Das altruistische Geschäft der Datenschützer

Warum der Kampf ums digitale Grundrecht längst mehr ist, als der vermeintliche Schutz unserer Privatsphäre.

17.07.2025 13:00
Redaktion
© Adobe

Es ist eine merkwürdige Allianz, die sich regelmäßig zu Wort meldet, wenn internationale Tech-Giganten unter Druck geraten: Bürgerrechtsaktivisten wie Max Schrems, die im Namen des europäischen Datenschutzes Klagen einreichen – aktuell gegen TikTok, AliExpress und WeChat. Doch was als Kampf David gegen Goliath inszeniert wird, wirkt zunehmend wie ein routiniertes Businessmodell.

Die Klage als System

Dass TikTok Nutzerdaten unvollständig herausgibt, ist ebenso wenig überraschend wie der Umstand, dass WeChat offenbar gar nicht reagiert. Die Plattformen agieren aus einem anderen kulturellen Kontext, mit eigenen Normen und Machtstrukturen. Doch die Reaktion der NGO None Of Your Business (Noyb) ist vorhersehbar: Formfehler ahnden, DSGVO einfordern, Strafen fordern – in diesem Fall bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes. Der politische Spin: Europa schützt seine Bürger, wo der Markt versagt.

Dabei bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet: Was genau ist eigentlich gewonnen, wenn TikTok einen zusätzlichen JSON-Export liefert? Ändert das etwas an der Tatsache, dass Nutzer und Userinnen längst in einem digitalen System leben, das keine Privatsphäre mehr kennt? Dass jeder Klick, jedes Like und jede Verweildauer seit Jahren getrackt wird – unabhängig davon, ob eine App ihren Speicherort in Dublin, Chengdu oder Kansas City angibt?

Datenschutz als Placebo

Spätestens seit die EU den Verkauf unregistrierter SIM-Karten untersagt hat, ist die Idee der anonymen Netzpräsenz Geschichte. Identität und digitale Spur sind untrennbar verknüpft – jeder Download, jede Plattformnutzung, jede Zwei-Faktor-Authentifizierung basiert auf der verifizierten Kopplung von Mensch und Gerät. Die Freiheit im Netz ist damit zur kontrollierten Illusion geworden.

Und selbst dort, wo man sich scheinbar mühsam durch Nutzungsbedingungen klickt, bleibt am Ende das resignierte Schulterzucken. Denn wo ist das Rechenzentrum, das unsere Daten verarbeitet? In Irland, sagen manche. In Virginia, sagen andere. In Wahrheit: in der Cloud – also überall und nirgends. Die Vorstellung, dass man mit Datenschutzverordnungen den physischen Ort von Servern politisch bändigen kann, ist längst obsolet. Trotzdem soll uns weisgemacht werden, dass irgendwo in Europa ein Topf mit unseren Daten vergraben sein soll, den die EU gut bewacht, mit aller Kraft verteidigt und beschützt.

Trump, TikTok und Doppelmoral

Ironischerweise kommt die jüngste Welle der Datenschützer-Klagen zu einem Zeitpunkt, an dem sich geopolitische Interessen neu sortieren. In den USA hat Donald Trump mehrfach versucht, TikTok zu verbieten – offiziell aus Sicherheitsgründen, inoffiziell als Hebel gegen China. Das Ergebnis: Dekrete, Fristverlängerungen, juristische Hängepartien. Auch unter Joe Biden blieb der Druck bestehen, aber in sanfterem Ton.

Die EU zögert derzeit mit einer Entscheidung gegen X (ehemals Twitter) – offiziell wegen komplexer Prüfverfahren, inoffiziell möglicherweise auch aus Rücksicht auf die sensiblen Gespräche mit den USA zur Beilegung eines Handelsstreits. Zugleich laufen Datenschutzverfahren gegen mehrere chinesische Plattformen mit bemerkenswerter Geschwindigkeit an. Es entsteht der Eindruck, dass europäische Regeln mit unterschiedlicher Konsequenz durchgesetzt werden – je nachdem, in welchem geopolitischen Spannungsfeld sich die betroffenen Unternehmen bewegen.

Das digitale Machtspiel

Was bleibt, ist das Gefühl einer asymmetrischen Auseinandersetzung. Auf der einen Seite Plattformen, die längst globale Realität prägen – mit eigener Agenda, eigener Infrastruktur, eigener Geschwindigkeit. Auf der anderen Seite europäische Institutionen, die sich mit Regeln und Erinnerungsstücken aus der analogen Welt immer wieder an längst überholte Regularien klammern. Dazwischen NGOs wie Noyb, die auf eine Mischung aus juristischer Expertise und medialer Sichtbarkeit setzen.

Ironischerweise muss man sagen: Wer heute nicht ausspioniert wird, hat wahrscheinlich keinen Netzanschluss, besitzt kein Smartphone und nutzt keine der Apps. Die Frage ist nicht, ob wir das gut finden. Sondern, ob wir bereit sind, das auch so zu benennen.

(red)

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