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80 Jahre Pressefreiheit: Der Präsident verlangt viel

Die Rede des Bundespräsidenten auf einer NGO-Plattform rückt die Wirklichkeit für Journalisten zurecht.

01.10.2025 12:27
Redaktion
© Reporter ohne Grenzen
Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit einem Statement zur Pressefreiheit auf rog.at

Am Mittwoch, 1. Oktober 2025, jährte sich die Wiederherstellung der Pressefreiheit in Österreich zum 80. Mal. Anlass für ein Videostatement von Bundespräsident Alexander Van der Bellen – und für Nachdenken über die Erwartungen, die er an Journalistinnen und Journalisten knüpft.

Hier geht’s zur Rede des Bundespräsidenten auf rog.at

Formbare Wahrheit

Der Präsident betonte in seiner Ansprache, dass unsere Demokratie nur funktioniere, wenn es ein gemeinsames „Bild von der Wirklichkeit“ gebe. Dieses Bild, so Van der Bellen, entstehe durch Medienberichterstattung. Journalismus müsse daher auf sorgfältig geprüften Fakten beruhen, Orientierung geben, erklären und gewichten – und zugleich unabhängig bleiben.

Damit fordert er, dass Journalistinnen und Journalisten stets eine „bestmögliche Version der Wahrheit“ präsentieren. „Denn auf dem, was wir in diversen Medien lesen und sehen, basiert unser Bild von der Wirklichkeit“, sagte Van der Bellen. Und nur wenn man ein gemeinsames Bild dieser Wirklichkeit habe, könne die Demokratie funktionieren. Journalismus müsse daher, so der Präsident, „mit sorgfältig geprüften Fakten arbeiten, mit stichhaltigen Argumenten.

Das klingt nach Business as usual, lässt aber auch eine schwierige Lesart zu. Denn wer für den sozialen Frieden schreibt, sieht sich gezwungen, nicht jede unbequeme Wahrheit direkt auszusprechen. Vor allem dann, wenn sie von Teilen der Gesellschaft als diskriminierend, rassistisch oder gar als „Hassrede“ gewertet werden könnte.

Hier entsteht ein Dilemma: Wird die Wahrheit zur Frage der gesellschaftlichen Verträglichkeit, bewegt sich der Journalismus in eine Grauzone zwischen sorgfältiger Sprache und selektivem Verschweigen.

Zwischen Schnelligkeit und Tiefe

Van der Bellen nahm auch die digitalen Medien ins Visier: „Digitale Plattformen also jene Orte, an denen Nachrichten heute zumeist konsumiert werden, haben aber keine Zeit“, so der Präsident, damit werde der Journalismus in einen Strudel gezogen, der Übertreibung und Empörung begünstige.

Doch er rief zu Widerstand gegen diese Mechanismen auf: „Mir ist klar, es ist schwierig, da nicht mitzuspielen, aber ich bin überzeugt, es zahlt sich aus.“ Unter der Flut von Inhalten stechen aus seiner Sicht „hochwertige Inhalte positiv hervor“.

Damit setzte der Präsident einen Kontrapunkt zum gängigen Bild vom gleichförmigen Content-Rauschen. Zugleich stellte er einen hohen Anspruch an die Redaktionen: Differenzieren und abwägen, auch wenn die Rahmenbedingungen alles andere als förderlich sind.

Verantwortungsdiffusion

Auffällig ist, dass Van der Bellen die Verantwortung stark an jene delegiert, die am wenigsten Handlungsspielraum haben: die Journalistinnen und Journalisten im Tagesgeschäft. Dass es in Wahrheit andere sind, die Produktionsrhythmen, Reichweitenziele und Klickökonomien festlegen, bleibt in seiner Rede ausgespart. Indem er „die Plattformen“ und „Algorithmen“ als Triebkräfte inszeniert, entlastet er die Entscheidungsträger in den Unternehmen.

Verantwortung der Leser

Zum Ende weitete Van der Bellen den Blick über die Redaktionen hinaus: „Wir alle tragen Verantwortung, nicht nur jene, die Artikel schreiben, sondern auch jene, die sie lesen und teilen.“ Damit betonte er, dass Pressefreiheit und Demokratie auch vom Verhalten der Gesellschaft abhängen.

Tatsächlich sind rechtliche Grenzen für das Teilen von Inhalten je nach Land unterschiedlich scharf gezogen – von zivilrechtlichen Klagen bis hin zu strafrechtlichen Verfahren. Österreich kennt bisher vor allem Klagen gegen User, etwa im Zusammenhang mit diffamierenden Postings, während in anderen Ländern auch strafrechtliche Sanktionen möglich sind. Allgemein aber gilt: Wer Inhalte teilt, wird Teil der Verantwortungskette.

Am Ende klingt die Rede des Bundespräsidenten wie eine Gratwanderung zwischen Anerkennung und Mahnung. Ja, der Journalismus ist ein gefährlicher Job – wer ihn ausübt, riskiert Anfeindungen, Druck und Verantwortung für Wahrheiten, die nicht jedem gefallen. Doch Van der Bellen machte klar: Auch die Leser stehen nicht außerhalb. Wer teilt, trägt mit.

Weitergedacht: Wer Redakteure einsetzt, bestimmt mit. Wer Journalisten abzieht, verhindert mit. Damit wird sichtbar: Nicht nur diejenigen, die schreiben, tragen Risiko. Auch das Eingreifen in den Publikationsprozess kann Folgen haben. Wer glaubt, dass nur Journalistinnen und Journalisten ihren Kopf hinhalten müssen, hat an diesem Tag der Pressefreiheit dazugelernt.

(red)

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