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Ukraine – Der Ausnahmezustand und die mediale Suche nach der Wahrheit

 Journalistinnen aus Russland, der Ukraine und Belarus diskutierten beim Journalismusfest in Innsbruck
©unsplash

Zerstörte Häuser, Tote, Verletzte, Leid. Und ebenso mittendrin wie zwischen den Fronten: Medien. Im Kampf um journalistische Unabhängigkeit, unter widrigsten Umständen, Repression und Lebensgefahr. Beim Journalismusfest Innsbruck diskutierte am Samstag eine Runde aus Journalisten aus Russland, Belarus und der Ukraine über den (Arbeits)-Ausnahmezustand und betonte die Notwendigkeit medialer Kontrolle, freier Berichterstattung und der Suche nach der Wahrheit.

Roman Stepanovych ist Journalist beim ukrainischen Onlineportal “Zaborona” und er macht gleich zu Beginn der Diskussion im Innsbrucker Treibhaus – gefragt nach der Situation der Medien im vom russischen Angriffskrieg betroffenen Land – klar, dass es abseits der eigentlichen journalistischen Arbeit, auch für Journalistinnen und Journalisten ums nackte Überleben geht: “Die größte Schwierigkeit ist, dass wir uns selbst erhalten. Die Infrastruktur ist unter Beschuss. Wir können uns oft nicht auf das Internet verlassen, haben eine ganz schwache Verbindung. Es ist schwierig, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Es geht um das Überleben der Medienhäuser in der Ukraine.” Meist sei es nur möglich, die Schrecken des Krieges in “kleinen Portionen”, mit Titeln, niederzuschreiben.

Den “Konsumenten”, der Bevölkerung, geht es indes nicht besser. Die Dauer des Konsums von Medien sei wegen des Krieges um 56 Prozent gesunken – es könnte ja jeden Moment eine weitere Rakete einschlagen oder ein weiterer Schuss fallen, berichtete Stepanovych, dessen “Zaborona” unter anderem Berichte über verschollene Angehörige sammelt und Menschenrechtsverletzungen im Krieg dokumentiert.

Abseits aller Widrigkeiten für sich als unabhängig begreifende Medien, Menschen in der Ukraine und außerhalb mit fundierter Berichterstattung zu versorgen, hat der Krieg für den Journalisten aber ein zwangsläufiges Phänomen zur Folge: “In der Ukraine ist praktisch jeder zum Journalisten geworden.” Gemeint sind all die Menschen, die die “Gräueltaten filmen oder fotografieren”, so Stepanovych, und sie über Social Media in die Welt hinausschicken. “Wir wollen der Welt zeigen, was passiert”, erklärte der junge Journalist.

Doch auch auf “der anderen Seite” kämpfen Medienschaffende um die getreue Dokumentation des Unfassbaren, und zwar zwangsweise außerhalb der Heimat. Die Mitgründerin, Geschäftsführerin und Herausgeberin von “Meduza”, Galina Timtschenko, berichtet aus Lettland. “Wir wurden von der russischen Führung als ausländische Agenten eingestuft, als Staatsfeinde, Wir sind eine unerwünschte Organisation”, erklärt sie in der Diskussion. Alle Werbeeinnahmen hätten sie verloren, wer mit “Meduza” in Kontakt tritt oder Nachrichten des Mediums teilt, müsse mit sechs Jahren Freiheitsstrafe rechnen. 300.000 Leser habe “Meduza” aber nach wie vor täglich. “Wir senden über alle möglichen Plattformen”, sagte Timtschenko und veranschaulichte: “Wladimir Putin versucht der Bevölkerung immer wieder zu vermitteln, dass der Krieg das tägliche Leben in Russland nicht betrifft. Wir zeigen, dass das nicht stimmt. Wir zeigen Bilder vom Schrecken des Krieges. Die Menschen in Russland sind müde, aber das ist uns egal. Wir wollen den Menschen die Augen öffnen. Die russische Zivilbevölkerung darf sich nicht nur auf sich selbst konzentrieren. Die Ukraine wird bombardiert, die russische Bevölkerung muss Verantwortung für diesen Krieg übernehmen.

Für freie Berichterstattung und die legitime Suche nach der Wahrheit kämpft auch Alexander, der als Journalist für die belarussische Online-Plattform “NEXTA”, die im Exil in Warschau sitzt, arbeitet. Das Regime in Belarus habe “zurückgeschlagen”, als das Medium über die Tötung von Menschen im Zuge der Präsidentschaftswahl 2020 und der folgenden Massenproteste berichtete. Als “Terrororganisation” sei man eingestuft worden,”wie der IS”, so Alexander. Auch im Exil in Polen stehe die Redaktion unter Polizeischutz, man erhalte Morddrohungen. “Menschen werden verhaftet, wenn sie unserem Kanal folgen. Wir können fast keine Interviews machen, aber senden Informationen via VPN”, verdeutlichte der Journalist die dramatischen Umstände. Belarus sei neben Russland jenes Land, in dem die Situation der Medien hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit am schlechtesten sei, so Alexander: “Seit 2020 gibt es keine unabhängigen Zeitschriften mehr. Das Fernsehen, das vor allem ältere Menschen nutzen, ist nicht frei.” Die Jüngeren in seinem Heimatland erreiche “NEXTA” aber wesentlich mehr.

Hinsichtlich der Unabhängigkeit der Medien und der politischen Verhältnisse abseits des Krieges fand übrigens auch Stepanovych für sein Heimatland Ukraine deutliche Worte. Sehr viele unabhängige Medienhäuser habe es noch nie gegeben, die “Zensur durch das Militär ist ein Fakt.” Vor allem die Umgebung von Präsident Wolodimir Selenski würde kritisch Berichterstattung mitunter mit den Worten quittieren, dies würde nur “Putin in die Hände spielen”. Auch dürfe man nicht außer Achtlassen, dass man es in der Ukraine nach wie vor mit einem großen “Korruptionskrieg” zu tun habe: “Das haben viele im Westen schon vergessen.”

Dass sich Journalismus in Kriegs- und Krisenzeiten länderübergreifend stützt, zeigt Sabīne Sīle vom Media Hub Riga, der mehr als 500 Medienschaffende aus der Ukraine, Belarus und aus Russland in Lettland unterstützt. Die Palette an Hilfen reicht von jenen bei Notfällen, Traumata, Logistik, Visa, Arztterminen bis hin zu Registrierungen, Rechtsberatung und Bankkonto-Eröffnungen im fremden Land, erklärte Sīle bei der Diskussion in Innsbruck, die von “taz”-Chefredakteurin Barbara Junge und der freien Journalistin und Russland-Expertin Katja Gloger geleitet wurde.

Sile berichtete von einer großen Solidaritätsbewegung unter und mit den nach Riga geflüchteten Journalisten, die meisten von ihnen aus Russland. Kann daher Journalismus “Brücken schlagen”, wurde in die Runde gefragt. Die Antworten fielen nicht eindeutig aus. Untereinander gelinge das schon, aber darüber hinaus, das blieb offen. Was essenziell bleibe, sei eine Berichterstattung, die der Wahrheit und Unabhängigkeit verpflichtet ist. “Medien sind nicht die Politik. Das Hauptziel muss sein, zu berichten, was gerade passiert. Und nicht eine vorgefertigte Meinung preiszugeben”, fasste es Stepanovych zusammen.

APA/Red.

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