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Daily Mirror feiert 120 Jahre

Schon bei der Gründung ging die Zeitung besondere Wege. Später dominierte sie die öffentliche Meinung in Großbritannien.
Screenshot

Dem Daily Mirror droht zum Geburtstag Ungemach

Zum Geburtstag gibt es Geschenke, manchmal Geld. Doch diesmal könnte der Jubilar zur Kasse gebeten werden. 120 Jahre wird der Daily Mirror am Donnerstag (2. November) alt – und ausgerechnet in diesem Jahr droht dem britischen Boulevardblatt eine hohe Strafzahlung. 320.000 Pfund, rund 367.000 Euro, verlangt Prinz Harry von der Zeitung als Schadenersatz. 

Weil der Sohn von König Charles III. nicht der einzige Kläger ist, der dem Mirror illegale Abhörmethoden vorwirft, könnte im Falle eines Schuldspruchs die Rechnung deutlich höher ausfallen. Die Summe dürfte dem „Herz von Großbritannien“, wie sich der Mirror selbst nennt, weh tun.

Harry abzuhören, ist nicht der einzige und beileibe nicht der schwerste Fehler in der Geschichte des Mirror. Aber der Fall, der Ende Juni vor Gericht kam und bei dem jederzeit das Urteil bekannt werden kann, steht exemplarisch für den oft als rücksichtslos empfundenen Umgang der tabloid press, wie die Boulevardmedien genannt werden, mit Promis und Royals in den 1990er und 2000er-Jahren. Gegen Konkurrenzblätter sind ähnliche Klagen anhängig.

Promis, Sex, Skandale, Fußball: Die meisten Themen sind austauschbar bei den red tops, wie Mirror, Sun und Daily Star wegen ihrer roten Titel auch genannt werden. Ein bisschen anders aber ist der Mirror dann doch noch immer. Gegründet 1903 als Zeitung für Frauen, geschrieben von Frauen, wollte Verleger Alfred Harmsworth die steigende Bedeutung von Frauen widerspiegeln. „Ich möchte, dass es wirklich ein Spiegel des weiblichen Lebens ist, sowohl auf seiner Schattenseite als auch auf seiner helleren Seite“, erklärte der spätere Lord Northcliffe den Titel, zu Deutsch Spiegel.

Zwar scheiterte der weibliche Ansatz, aber der Neuanfang – nun mit einer rein männlichen Redaktion – gelang, auch dank des Einsatzes des noch jungen Mediums Fotografie. Ein erster Scoop, wie man wohl heute sagen würde, gelang 1910: ein Bild der Leiche von König Edward VII. bei dessen Aufbahrung. Als erste Zeitung knackte der Mirror die Auflage von einer Million Exemplaren, in den 1960er-Jahren wurden mehr als fünf Millionen am Tag verkauft. Schätzungsweise jeder dritte Brite las damals das Blatt, wie der Medienwissenschafter Tor Clark sagt. Großbritannien sei stets ein Zeitungsland gewesen.

Vor allem aber positionierte sich der Mirror als Sprachrohr der großen Arbeiterklasse. „Er schrieb für die Arbeiterklasse, ohne sie niederzumachen, ohne sie zu bevormunden“, sagt Clark von der Universität Leicester. „Der Mirror war ihr Vorkämpfer und ihr Verteidiger.“ Der Stil passte sich an: kurz und ausdrucksstark, im typischen Tabloid-Stil, aber weder herablassend noch allzu anzüglich.

An der sozialdemokratischen Ausrichtung hat sich bis heute nichts geändert. Seit Jahrzehnten liegt der Mirror auf der Linie der Labour Party – derzeit als einziges Boulevardblatt. Die Konkurrenten wie The Sun, die zum Medienimperium von Rupert Murdoch gehört, sowie Daily Mail oder Daily Express unterstützen mehr oder minder offensichtlich die regierenden Konservativen. Personalien zeigen, wie eng die Verbindungen sind. So wurde James Slack von der Mail erst Regierungssprecher und wechselte nach wenigen Jahren zur Sun.

Dass es die damalige Chefreporterin des Mirror, Pippa Crerar, war, die den „Partygate“-Skandal um Lockdown-Feiern in der Downing Street maßgeblich mit aufdeckte, wundert den Experten Clark nicht. Die Reporter der konservativen Boulevardblätter hätten vermutlich von den Partys gewusst, aber nicht darüber geschrieben. Eine der illegalen Feiern war die Abschiedsparty von James Slack. Der Mirror aber meldete sich mit der „Partygate“-Enthüllung zurück im Geschäft.

Politisch hat die Zeitung also eine Ausnahmestellung. Bei den Royals sieht das anders aus, sie werden auch vom Mirror unterstützt. „Die britische Arbeiterklasse ist äußerst royalistisch, sie ist sozial konservativ und sie ist sehr patriotisch“, sagt Clark. Der Mirror verstehe seine Leserschaft gut.

In Großbritannien buhlen gleich mehrere Boulevardzeitungen um Aufmerksamkeit und Schlagzeilen. Die Probleme sind aber dieselben. Im September hatte der Mirror noch eine Auflage von 250.872 Exemplaren.

„Die Leser sind über 50, sie sterben langsam aus. Die Leute kaufen keine Zeitungen mehr, sie zahlen nicht mehr für Journalismus wie früher“, sagt Clark. Mit dem Independent, kein Boulevardblatt, hat eine renommierte Zeitung bereits den Druck eingestellt und auf eine reine Online-Ausgabe umgesattelt.

dpa/apa

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